Zürich ist ein Ballenberg der Reichen

Das Kandidatenkarussell für die Stadtratswahlen ist bereits eifrig am Drehen. Die Medien kommentieren derweil die Chancen und Hindernisse für jeden gesetzten Anwärter. Doch die Frist für die Einreichung einer Kandidatur läuft noch bis zum 3. Dezember. Ist das Wahlkampfspiel schon «ausgemacht»? Kommt man nur mit Parteibuch als ernsthafter Kandidat infrage für ein Amt, bei dem ideologischer Hintergrund im Verlauf der Amtszeit irrelevant wird und dem Pragmatismus weichen muss?

Dieser Blog-Beitrag erschien ursprünglich auf der Seite des Zentrum Karl der Grosse am 28.11.2013.

Ein Gespräch via Facebook-Chat mit einem potenziellen weiteren Stadtratskandidaten: dem parteilosen Daniel Frei (selbständiger PR-Berater), der die Community für oder gegen seine Kandidatur entscheiden lässt. Der Auftakt seiner Wahlkampagne beginnt mit diesem Blogpost.

Adrienne Fichter, Wahlbeobachterin: Der Tagi fragte neulich alle Kandidaten, ob sie ihre finanziellen Verhältnisse offenlegen würden. Markus Knauss (Grüne) und Raphael Golta (SP) zögerten keine Sekunde und sagten, wie hoch ihr Einkommen ist. Die SVP-, GLP- und FDP-Kandidaten sträubten sich dagegen. Findest Du nicht auch, es ist das Recht eines Bürgers und Wählers zu erfahren, mit welchem finanziellen Hintergrund ein Kandidat in den Wahlkampf steigt?

Daniel Frei, potenzieller Stadtratskandidat: Absolut.

Adrienne: Wieso?

Dani: Weil es entscheidend ist, wer einen finanziell unterstützt, woher die Mittel kommen. «Follow the money»… Aber es ist gleichzeitig auch zu wenig, nach dem Einkommen und dem Vermögen zu fragen.

Adrienne: Wieso zu wenig?

Dani: Die Schmiererei fängt, wenn clever eingefädelt, erst nach dem Amt an.

Adrienne: Hm, also nachdem die Stadträte zurückgetreten sind, werden sie korrupt? Als Stadtrat selber dürfen sie kaum weitere Verwaltungsratsposten annehmen.

Dani: Haha. Vielen Dank für’s Paraphrasieren meiner Aussage. So verlinken würde ich das nicht. Ich weiss nicht und habe auch keine Indizien dafür, dass ehemalige Stadträte oder aktuelle korrupt sind, mache ihnen auch keine Vorwürfe. Aber wir kennen Beispiele aus der Vergangenheit, auch in Zürich. Was ich damit sagen wollte ist vielmehr, dass es sehr subtile und der Öffentlichkeit verborgene Ansätze gibt, zu korrumpieren.

Adrienne: Welches sind die subtilen und verborgenen Ansätze? Und wie würdest Du diese vermeiden bzw. wärst Du ihnen gegenüber immun, wenn Du Stadtrat wärst?

Daniel: Die subtilen Ansätze sind die kleinen Gefälligkeiten, die gar nicht als Klüngel, Mauschelei, Bestechung oder so wahrgenommen werden. Und ich kann mir vorstellen, dass es davon viele gibt.

Ich bin auf jeden Fall sehr sensibel gegenüber Gefälligkeiten, und als PR-Berater ist mir auch bewusst, wie diese zustande kommen und eingefädelt werden. Es ist mir ein Anliegen, mich dagegen zur Wehr zu setzen. Ich hoffe auch, dass der Stadtrat eine Etikette hat, moralische und rechtliche Regeln, die dies verunmöglichen. Um mich klar abzugrenzen: Sollte ich spüren, dass ich angegangen werde für Gefälligkeiten, möchte ich dies auch kommunizieren.

Adrienne: Dein Programm wäre also vollständige Transparenz. Aber so schmiedet man doch keine Allianzen und Bündnisse für mehrheitsfähige Entscheidungen?

Dani: Bündnisse und Allianzen scheinen nötig. Genau das fehlt mir als Neueinsteiger. Die Kontakte, die Netze, die Verbündeten. Das wird man mir vorwerfen. But then again, das Wahlsystem verlangt nach Menschen wie mir. Die frei von Vorgeschichte und Kenntnissen sind, dafür umso mehr bereit, sich diese anzueignen, frischen Wind in das System zu bringen, es herauszufordern.

Adrienne: A propos Gefälligkeiten: Vor kurzem wurde ja aufgezeigt, dass die Sittenpolizei sich bestechen liess. Die Medien machen einen riesigen Skandal daraus. Und fordern eine Schlacht, ein Köpferollen, eine Kapitulation von Richard Wolff, dem Polizeivorsteher (AL). Nun interessiert das irgendwie niemanden. Kein Kontrahent aus dem bürgerlichen Lager lastet Wolff etwas an, die politische Öffentlichkeit macht keinen Druck, während die Medien krampfhaft versuchen, das Ganze weiter aufzubauschen, damit im Wahlkampf doch noch etwas passiert. Findest Du nicht, wir – die Wähler – haben uns an Mauscheleien gewöhnt? Oder handelt es sich um eine Lappalie in diesem Fall? Oder ist der Wahlkampf allgemein noch nicht im Gang?

Dani: Wahlkampf? Was für ein Wahlkampf? Ich hab kürzlich recherchiert, welche Kandidaten zur Wahl stehen, und was mich überrascht hat, ist der folgende Artikel: «Das Kandidatenkarussell ist komplett», schreibt das SRF. Wie kann es komplett sein, wenn die Anmeldefrist noch läuft (bis zum 3. Dezember)?

Mich dünkt, das sei ein Spiel von Eingeweihten und Habitués und wir, die Wählerinnen und Wähler, sind jetzt noch die Statisten. Do your job slave, vote. Ansonsten sei still, und eigentlich lieber nicht wählen, denn dann kommt es auch zu keinen Änderungen. Stillstand ist gut.

Zürich geht es super. Wir fragen uns noch, wo der nächste «Robidog» aufgestellt werden muss, und ob wir das Abfallsystem nicht noch einmal für Millionen wechseln wollen. Da hat es doch keine Importanz, ob da ein paar Polizisten aus der Sitte geschmiert werden. Und so lange es nur um Prostituierte und Ausländerinnen geht – kein Problem.

Die Uni und ihr Skandälchen sind da viel System-relevanter. Und alle Akteure sind geübt im Auftritt.

Adrienne: Da höre ich viel Unmut raus. Das wäre aber DIE Chance aufzuzeigen, dass man sich in diesem behäbigen, gemächlichen, routinierten Wahlkampfzirkus geirrt hat, wenn Du jetzt kandidieren würdest?

Dani: Ich bin ein Irrer, mich dem auszusetzen. Habe ich eine Chance, werde ich auseinander genommen. Habe ich keine Chance, dann werde ich ignoriert. Und ja, da ist einiges an Unmut in mir drin.

Adrienne: Und was findest Du, läuft in Zürich grundlegend falsch?

Dani: Grundlegend falsch läuft, dass das Geld und die Wirtschaft das Primat haben und nicht die Politik. Grundlegend falsch läuft, dass die Stadt durch das Hochdekorieren und Aufwerten aller Ecken und Enden weniger und weniger lebenswert ist für alle sozialen Gruppen und für das Kleingewerbe.

Adrienne: Aber die Stadtregierung ist doch rot-grün dominiert und kümmert sich um den genossenschaftlichen Wohnungsbau? Dass alle hier leben können?

Dani: Ja, das müsste umgesetzt werden. Ich sehe nur wenig, dass das passiert. Ich wünsche mir ein lebenswertes Zürich, das offen ist für Familien, für Singles, für Reiche und Arme, ein Miteinander und Nebeneinander und nicht ein wirtschaftspolitisches Ballenberg der Reichen.

Ich sehe aber sehr wohl, dass die Mieten steigen, Familien mit wenig Lohn an den Rand Zürichs gedrängt werden, die Innenstadt verödet; das Seefeld ist bereits ein Ghetto.

Adrienne: Es gibt die «Top 5» (SVP, CVP, FDP), den linken Block (AL, Grüne, SP) und den blockfreien Grünliberalen. Wo würdest Du Dich als Parteiloser ansiedeln?

Dani: Ich kann von mir eigentlich nur sagen, dass ich über einen guten Instinkt und Empathie verfüge. Und ich kann zuhören und ich habe Werte; geht das mit Koalitionen und Blöcken Hand in Hand? Ginge nicht einfach, dass man einen guten Sinn einbringt, einen gesunden Menschenverstand?

Adrienne: Die Wähler müssen Dich doch einordnen können. Wissen, wofür Du stehst und wie Du es umsetzen willst. Das «Wie» beschreibst Du relativ gut mit den Charaktereigenschaften und auch in der Stilfrage. Jetzt müsste man einfach mehr über Dein politisches Herz erfahren, wie Du tickst?

Dani: Mein politisches Herz ist sozial und liberal. Manchmal aber auch konservativ, im Sinne von «conservateur», bewahrend.

Adrienne: Im Kern ja ein Widerspruch, sozial und liberal?

Dani: Wo ist der Widerspruch? Sind wir nicht alle facettenreich? Und verändert sich unsere Meinung und unsere Haltung nicht auch? Beispielsweise durch Erfahrungen, die uns prägen. Eins kann ich sagen: Ich glaube nicht an Religionen. Und ich glaube nicht an Parteilabels. Ich glaube an die freie Meinung.

Adrienne: Liberal im wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Sinne? Gegen mehr Einmischung des Staates? Wenn ja, kannst Du gar nicht so sozial sein…

Dani: Liberal im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Sinne. Der Mensch ist ein soziales Wesen, und wenn es den anderen gut geht, dann geht es mir gut. Ich muss dazu Mani Matter zu Hilfe nehmen.

Adrienne: Die Steuern, die bei Deinem Unternehmen eingetrieben werden, schmälern Deinen Ertrag und die Möglichkeit zu re-investieren.

Dani: Als guter Unternehmer ist man eingebettet in eine Gesellschaft, von der man nimmt und der man gibt. Ein guter Unternehmer weiss um seine Verantwortung der Gesellschaft gegenüber. Dass es den Batzen schmälert, ist nur eine Sichtweise eines Unternehmers. Die andere ist langfristig, und da profitiert er durch Sicherheit und Zuverlässigkeit, die er auch dank den Steuern erhält. Das haben die grossen Unternehmen, die nicht inhabergeführt sind und nur Dividenden-driven, nicht verstanden. Aber: Man muss darüber reden, wie viele Steuern und wo sie anfallen, keine Frage.

Adrienne: Dann propagierst Du eigentliche den sozialen Patron – das «social entrepreneurship» – im Sinne des verantwortungsbewussten Unternehmers?

Dani: Zu überdenken, gerade auch weil wir doch ein bedingungsloses Grundeinkommen wollen. Diesbezüglich würde sich überhaupt anbieten, unser Steuersystem zu reformieren.

Adrienne: Willst Du das BGE (bedingungslose Grundeinkommen)?

Dani: Ja, will ich.

Adrienne: Und wer kommt zu Dir arbeiten, wenn er seine 2500 Franken monatlich sicher weiss und dann an einem dieser kalten Novembermorgen wie heute nicht aufstehen mag?

Dani: Haha… Wer kommt schon mit 2500 Franken aus monatlich bitte?

Adrienne: Das geht. Ich war Studentin und hatte noch weniger…

Dani: Fakt ist doch, dass immer häufiger Menschen mit ihrer Arbeit ihr Leben nur knapp finanzieren können. Fakt ist auch, dass es zunehmend weniger Hände in der Produktion braucht. Fakt ist, dass unsere Alten und Kranken nur mangelhaft gepflegt werden können. Dass wir billige Arbeitskräfte aus der EU importieren, damit unsere Alten und Kranken gepflegt werden. Und die Mär vom Menschen, der nix tut, wenn er Geld hat, die finde ich ein Angst-Argument der Gegner, weil sie es für unfair halten.

Adrienne: Fakt ist aber, dass, trotz aller sozialen Neigungen und Altruismus in uns, wir bei einem BGE «beliebiger» werden. Wir können verzichten, wir können annehmen, die Identifikation mit der Arbeit steigt zwar, aber den Unternehmen fehlt es an konstanten Arbeitskräften. Dadurch fehlt es an der Planungssicherheit für die Unternehmen. Und das Problem der ausländischen billigen Arbeitskräfte würde wohl eher verschärft werden.

Dani: Ich vertraue auf den Ehrgeiz und den Gestaltungswillen der Menschen. Und Verträge würden auch beim BGE Verträge bleiben. Ich kann nicht einfach kommen und gehen wie ich will.

Adrienne: Gut, ich glaube das gäbe Stoff für mindestens einen weiteren Blogartikel. Schliessen wir ab und lassen die Leser über Deine Kandidatur entscheiden!
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Nun ist die Community an der Reihe. Die Anmeldefrist läuft noch. Soll der Parteilose Daniel Frei, der sozial-liberale Unternehmer mit Verantwortungsbewusstsein, der für vollkommene Transparenz steht und frischen Wind in den Stadtrat einbringen möchte, kandidieren?