Wenn Trauer auf KI trifft: Kommunikation mit Verstorbenen durch künstliche Intelligenz

Die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI) bietet neue Möglichkeiten, mit dem Verlust von Angehörigen umzugehen. Diese Technologien ermöglichen es Benutzerinn:en, auf eine Weise mit dem Abbild Verstorbener zu kommunizieren, die bisher unmöglich schien. Doch dieser Fortschritt wirft auch ethische Fragen auf und beeinflusst den Trauerprozess auf komplexe Weise.

Trost durch KI? Fotografie: Daniel Frei

Daniel Frei – KI-basierte Plattformen, wie die von Snapchat oder HereAfter AI, erlauben es Nutzerinn:en, Avatare von Verstorbenen zu schaffen, die auf früheren Interaktionen und aufgezeichneten Gesprächen basieren. So erzählt etwa eine Nutzerin, wie sie durch einen AI-basierten Chatbot Kochtipps von ihrem verstorbenen Ehemann erhält. Dies bietet Trost, wirft jedoch Fragen auf, inwieweit solche Interaktionen den natürlichen Trauerprozess beeinflussen.

Kübler-Ross und die fünf Trauerphasen

Elisabeth Kübler-Ross, eine Pionierin in der Thanatologie (Wissenschaft, die den Tod, das Sterben und die Bestattung sowie damit verbundene Rituale erforscht), entwickelte das Modell der fünf Trauerphasen: Verleugnung, Zorn, Verhandeln, Depression und Akzeptanz. Dieses Modell hilft zu verstehen, wie Menschen Verlust verarbeiten.

Die Integration von KI in diesen Prozess könnte theoretisch Unterstützung in verschiedenen Phasen anbieten, birgt jedoch das Risiko, dass Trauernde in bestimmten Phasen verharren könnten, anstatt sie zu durchlaufen.

Wiederholung und Verstärkung bestimmter Emotionen

Wenn KI-Systeme darauf programmiert sind, auf die emotionalen Zustände der Nutzer:innen zu reagieren, könnten sie dazu neigen, bestimmte Emotionen oder Gedankenmuster zu verstärken. Zum Beispiel könnte ein KI-Chatbot, der einen verstorbenen Angehörigen simuliert, auf eine Weise interagieren, die die Phase der Verleugnung oder des Verhandelns verstärkt, indem er Reaktionen gibt, die diese Gefühle bestätigen oder fördern.

Mangel an echtem Fortschritt in der Verarbeitung

KI kann bestimmte Aspekte einer verstorbenen Person nachahmen, aber sie kann (noch) nicht die tieferen, dynamischen Prozesse menschlicher Interaktion und emotionalen Fortschritts bieten, die in einer realen zwischenmenschlichen Beziehung auftreten. Diese Einschränkung könnte dazu führen, dass Trauernde sich an die “Anwesenheit” der KI halten, anstatt sich mit der Realität des Verlusts auseinanderzusetzen und zur Phase der Akzeptanz überzugehen.

Verzögerung der emotionalen Verarbeitung

Durch die ständige Verfügbarkeit der KI als Quelle für Trost und Erinnerung könnte der natürliche Impuls zur emotionalen und psychologischen Verarbeitung des Verlusts verzögert werden. Das fortwährende Interagieren mit einer KI, die den Verstorbenen repräsentiert, könnte Nutzer:innen davon abhalten, sich mit der Endgültigkeit des Todes auseinanderzusetzen und wichtige Schritte zur Heilung zu unternehmen.

Künstliche Verlängerung des Trauerprozesses

Die Möglichkeit, über KI jederzeit mit einem digitalen Abbild des Verstorbenen zu kommunizieren, kann Trauernde in einem Zustand halten, in dem sie glauben, noch immer eine Verbindung zu der Person zu haben. Dies kann den Übergang von der Trauer zur Akzeptanz künstlich verlängern oder komplizieren.

Ethische und psychologische Komplikationen

Die Interaktion mit einer KI, die einen Verstorbenen darstellt, könnte bei einigen Menschen ein Gefühl der Unwirklichkeit oder sogar des Unbehagens erzeugen, da die KI Handlungen oder Worte generieren könnte, die der Verstorbene nie geäussert hat. Dies kann zu Verwirrung und weiteren emotionalen Konflikten führen, die den Heilungsprozess behindern.

Technologische Umsetzung und ethische Betrachtungen

Die Erstellung von digitalen Avataren und das Klonen von Stimmen, wie im Fall eines IT-Profis aus Alabama, der die Stimme seines verstorbenen Vaters rekonstruierte, demonstriert die technischen Möglichkeiten der KI. Diese Entwicklungen machen es notwendig, Richtlinien für den Umgang mit den Daten Verstorbener und den Schutz der Privatsphäre zu überdenken. Die ethische Dimension solcher Technologien ist entscheidend, da sie das Potenzial haben, Erinnerungen zu verzerren oder unauthentische Erfahrungen zu schaffen.

Wissenschaftliche Perspektiven und zukünftige Forschung

Wissenschaftler wie Mary-Frances O’Connor betonen, dass der Umgang mit dem Verlust eine tiefgreifende neurologische Umstellung erfordert, die durch die Verwendung von KI beeinträchtigt werden könnte. Die Technologie bietet zwar Trost, doch die langfristigen psychologischen Auswirkungen sind bis jetzt nicht vollständig verstanden. Zukünftige Studien müssen die Auswirkungen dieser Technologien auf den Trauerprozess tiefergehend erforschen und ethische Rahmenbedingungen schaffen, die den Missbrauch solcher Technologien verhindern.

Fazit

Die Kommunikation mit verstorbenen Angehörigen durch KI wirft komplexe Fragen auf, die sowohl die Technologie als auch unsere Vorstellungen von Trauer und Erinnerung betreffen. Während diese Tools das Potenzial haben, Trost zu spenden, ist es entscheidend, dass ihre Entwicklung und Nutzung sorgfältig überwacht wird, um den Respekt und die Würde der Verstorbenen und ihrer Angehörigen zu gewährleisten.