Zucker: eher Droge als Lebensmittel?

Zucker, wissenschaftlich als Saccharose bekannt, ist eine weitverbreitete Zutat in vielen Speisen und Getränken. Obwohl Zucker aus Pflanzen wie Zuckerrohr oder Zuckerrüben gewonnen wird und somit natürlichen Ursprungs ist, argumentieren viele Wissenschaftler:innen und Ernährungsexpertinn:en, dass Zucker nicht als Lebensmittel betrachtet werden sollte. In diesem Artikel untersuche ich die Gründe dafür und stellt die Auswirkungen von Zucker auf den menschlichen Körper dar.

Zucker: Nährstoff-frei und gefährlich? Fotografie: Daniel Frei


Daniel Frei – Zucker, häufig betrachtet als einfache Quelle schneller Energie, ist ein zentraler Bestandteil zahlreicher Lebensmittel, die täglich konsumiert werden. Doch hinter der süssen Fassade verbirgt sich eine problematische Wahrheit: Zucker ist ein einfaches Kohlenhydrat, das über keine wesentlichen Nährstoffe verfügt und in seiner reinen Form nur leere Kalorien liefert. Seine Verarbeitung und seine physiologischen Effekte auf den menschlichen Körper stellen seine Eignung als «Lebensmittel» im traditionellen Sinne infrage. Die folgenden Abschnitte beleuchten, wie Zucker chemisch aufgebaut ist, wie er vom Körper verarbeitet wird und welche langfristigen Auswirkungen sein Konsum für die menschliche Gesundheit haben kann.

Zucker: einfache Kohlenhydrate ohne Nährwert

Chemisch gesehen besteht Zucker (Saccharose) aus zwei einfachen Zuckermolekülen: Glucose und Fructose. Diese einfachen Kohlenhydrate sind schnell verdaulich und führen zu einem raschen Anstieg des Blutzuckerspiegels. Im Gegensatz zu komplexen Kohlenhydraten wie Vollkornprodukten, die neben Zucker auch Vitamine, Mineralien und Ballaststoffe enthalten, bietet reiner Zucker keine essenziellen Nährstoffe. Er liefert lediglich «leere Kalorien», die Energie in Form von Kalorien bereitstellen, jedoch keinen ernährungsphysiologischen Wert haben.

Die industrielle Verarbeitung von Zucker entfernt nahezu alle natürlichen Begleitstoffe wie Mineralien und Vitamine, die ursprünglich in den Pflanzen vorhanden waren. Der Raffinationsprozess, der Zucker seine weisse Farbe und feine Konsistenz verleiht, eliminiert jegliche Spuren von Nährstoffen, die in der ursprünglichen Pflanze vorhanden waren. Das Endprodukt ist eine hoch konzentrierte Form von Saccharose, die in der menschlichen Ernährung keine funktionale oder nährwertige Rolle spielt.

Droge Zucker?

Der Vergleich von Zucker mit einer Droge mag zunächst metaphorisch erscheinen, doch die neurobiologischen Prozesse, die durch seinen Konsum ausgelöst werden, stützen diese Analogie. Zucker aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn auf eine Weise, die mit der Wirkung von Suchtstoffen vergleichbar ist. Wenn Zucker konsumiert wird, führt die rasche Aufnahme von Glucose und Fructose zu einem sofortigen Anstieg des Blutzuckerspiegels. Dieser Anstieg bewirkt eine schnelle Freisetzung von Insulin, welches hilft, den Blutzuckerspiegel zu regulieren. Gleichzeitig wird im Gehirn Dopamin freigesetzt, ein Neurotransmitter, der eng mit Belohnung und Motivation verbunden ist. Dieser Dopaminschub vermittelt ein kurzfristiges Gefühl von Zufriedenheit und Freude, was oft dazu führt, dass der Konsum von Zucker wiederholt wird, um erneut positive Gefühle zu erleben.

Die durch Zucker ausgelöste Dopaminfreisetzung führt zu einer Verstärkung des Verhaltens, das zu dieser Belohnung führte. Auf diese Weise entwickelt sich ein Zyklus aus Verlangen und Belohnung, der das kontinuierliche Verlangen nach zuckerhaltigen Speisen und Getränken fördert. Dieser Zyklus ist vergleichbar mit dem, der bei Suchterkrankungen beobachtet wird, wo die Suche nach der Droge und der daraus resultierende Belohnungseffekt das Verhalten trotz bekannter negativer Konsequenzen immer wieder antreiben.

Der häufige Konsum von Zucker und die ständige Aktivierung des Belohnungssystems können zu einer Toleranzentwicklung führen, bei der immer mehr Zucker benötigt wird, um dieselben Belohnungseffekte zu erzielen. Langfristig kann dies zu einer Überlastung des Insulinsystems und einer Insulinresistenz führen, bei der die Körperzellen weniger empfindlich auf das Hormon Insulin reagieren. Dies ist ein Schlüsselmechanismus bei der Entwicklung von Typ-2-Diabetes und kann auch zu anderen metabolischen Syndromen führen.

Neben den physiologischen Effekten kann Zucker auch eine psychologische Abhängigkeit fördern. Menschen können emotionale Abhängigkeiten von zuckerhaltigen Lebensmitteln entwickeln, indem sie Zucker als Mittel zur Bewältigung von Stress, Angst oder Depressionen einsetzen. Dies verstärkt die psychologische Komponente der Zuckerabhängigkeit und macht es noch schwieriger, den Konsum zu reduzieren.

Obwohl Zucker keine psychoaktive Substanz im klassischen Sinne ist, dennoch starke Effekte auf das menschliche Gehirn hat und Suchtverhalten auslösen kann. Die Erforschung dieser Zusammenhänge ist entscheidend, um wirksame Strategien zur Reduzierung des Zuckerkonsums und zur Bekämpfung der damit verbundenen gesundheitlichen Probleme zu entwickeln.

Gesellschaftliche und wirtschaftliche Aspekte

Der intensive Einsatz von Zucker in der Lebensmittelindustrie hat sowohl tiefgreifende gesellschaftliche als auch wirtschaftliche Implikationen. Diese lassen sich durch verschiedene Mechanismen in der Produktion, Vermarktung und im Konsumverhalten beobachten. Die Lebensmittelindustrie versteht es etwa meisterhaft, zuckerhaltige Produkte speziell für Kinder und Jugendliche attraktiv zu machen. Durch den Einsatz von lebendigen Farben, beliebten Charakteren aus Filmen und Fernsehen und anderen kinderfreundlichen Marketingtaktiken werden junge Zielgruppen direkt angesprochen.

Dies schafft eine frühe Verbindung zwischen kindlichem Vergnügen und süssem Geschmack, was oft zu einer lebenslangen Präferenz für süsse Lebensmittel führt. Diese Marketingstrategien sind besonders effektiv, weil sie nicht nur auf den Geschmack abzielen, sondern auch auf die emotionalen Reaktionen von Kindern. Die dadurch entstehende Markentreue kann zu dauerhaftem Konsum führen, der wiederum langfristige Gesundheitsprobleme wie Adipositas, Typ-2-Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen fördern kann.

Ökonomische Zugänglichkeit und globaler Konsum

Zucker ist aufgrund seiner niedrigen Produktionskosten und der effizienten Verarbeitungsmethoden ein ausserordentlich günstiger Inhaltsstoff. Dies führt dazu, dass zuckerhaltige Lebensmittel oft billiger sind als gesündere Alternativen, die mehr natürliche oder unverarbeitete Zutaten enthalten. In vielen Teilen der Welt, besonders in einkommensschwachen Gemeinden, sind zuckerhaltige Snacks und Getränke daher oft die am leichtesten zugänglichen und erschwinglichsten Optionen, was eine ungesunde Ernährung fördert.

Weiter ist der globale Handel mit Zucker und zuckerhaltigen Produkten ein Milliardenmarkt, der von wenigen grossen Konzernen dominiert wird. Diese Unternehmen haben einen erheblichen Einfluss auf Lebensmittelvorschriften, Agrarpolitik und Handelsabkommen. Der weltweit hohe Zuckerkonsum ist auch ein Ergebnis dieser ökonomischen Macht, die es ermöglicht, zuckerhaltige Produkte in fast jedem Winkel der Welt zu vermarkten und zu verkaufen.

Gesundheitskosten und öffentliche Belastungen

In der Schweiz, wie auch in vielen anderen Ländern, verursacht der hohe Konsum von Zucker und zuckerhaltigen Produkten signifikante gesundheitliche und wirtschaftliche Belastungen. Die Kosten, die durch zuckerbedingte Krankheiten entstehen, sind sowohl direkt in der medizinischen Versorgung als auch indirekt durch Produktivitätsverluste spürbar.

Laut einem Bericht des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) stehen ernährungsbedingte Krankheiten in der Schweiz in direktem Zusammenhang mit hohen Kosten im Gesundheitssystem. Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bestimmte Formen von Krebs, die mit einer hohen Zuckeraufnahme in Verbindung gebracht werden, verursachen jährlich Kosten in Milliardenhöhe. Im Jahr 2016 wurden die direkten Kosten für die Behandlung von Übergewicht und Fettleibigkeit, zu denen zuckerbedingte Krankheiten massgeblich beitragen, auf rund 8 Milliarden Schweizer Franken geschätzt.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen von zuckerbedingten Krankheiten beschränken sich nicht nur auf direkte medizinische Kosten. Arbeitsausfälle durch Krankheit, verminderte Arbeitsfähigkeit und vorzeitige Mortalität führen zu signifikanten Produktivitätsverlusten. Diese indirekten Kosten beeinflussen nicht nur die Wirtschaft insgesamt, sondern belasten auch Unternehmen, die durch krankheitsbedingte Abwesenheiten und verminderte Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter betroffen sind.

Studien in der Schweiz zeigen, dass eine Verringerung des Zuckerkonsums nicht nur die Gesundheit verbessern, sondern auch langfristig erhebliche wirtschaftliche Vorteile bringen könnte. Eine Studie von Gesundheitsökonomen schätzte, dass eine Reduktion des Zuckerkonsums um nur 20 % über die nächsten zehn Jahre die gesundheitlichen Kosten um Hunderte Millionen Franken senken könnte.

Angesichts dieser Daten erwägen politische Entscheidungsträger:innen in der Schweiz zunehmend strengere Massnahmen zur Regulierung des Zuckerkonsums. Dazu gehören Vorschläge für Steuern auf zuckerhaltige Getränke, bessere Kennzeichnungen von Lebensmitteln und die Einschränkung von Werbung für zuckerhaltige Produkte, insbesondere wenn sie sich an Kinder richten.

Zucker kein Lebensmittel: was nun?

Obwohl Zucker aus technischer Sicht als Lebensmittel betrachtet werden kann, da er essbar ist und Kalorien liefert, sprechen die fehlenden ernährungsphysiologischen Vorteile, die negativen gesundheitlichen Auswirkungen und die psychologischen Effekte dafür, ihn nicht als solches zu klassifizieren. Zucker nicht als Lebensmittel zu betrachten, kann dazu beitragen, das Bewusstsein für seine Rolle in der Ernährung zu schärfen und gesundheitsbewusste Ernährungsentscheidungen zu fördern.

Um den übermässigen Konsum von Zucker anzugehen, ist es entscheidend, das Ernährungsbewusstsein zu schärfen und effektive öffentliche Gesundheitsstrategien zu implementieren. Schulungsprogramme, die die Auswirkungen von Zucker auf die Gesundheit hervorheben und die Bedeutung einer ausgewogenen Ernährung betonen, können dazu beitragen, das Verhalten der Verbraucher zu ändern. Zusätzlich könnten staatliche Massnahmen wie Steuern auf zuckerhaltige Produkte, Beschränkungen bei der Bewerbung solcher Produkte, insbesondere an Kinder, und klare Kennzeichnungspflichten hinsichtlich des Zuckergehalts helfen, den Konsum zu reduzieren.

Länder wie Mexiko und Grossbritannien haben bereits Zuckersteuern eingeführt, die erste positive Auswirkungen auf den Konsum zuckerhaltiger Getränke gezeigt haben. Die Förderung gesünderer Alternativen zu zuckerhaltigen Produkten durch Subventionen für gesunde Lebensmittel und die Unterstützung von Landwirten, die sich auf den Anbau von nährstoffreichen Produkten konzentrieren, könnte ebenfalls einen wichtigen Beitrag leisten. Dies würde nicht nur die Ernährungssicherheit verbessern, sondern auch die Abhängigkeit von Zucker als primäre Geschmacksquelle reduzieren.

Zucker: Nährstoff-frei und gefährlich?

Zucker, obwohl weitverbreitet und oft als harmloser Geschmacksverstärker gesehen, hat weitreichende negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und das sozioökonomische Gefüge. Seine chemische Struktur und der Mangel an Nährstoffen führen dazu, dass er den menschlichen Körper mehr belastet, als nährt. Die psychologische Abhängigkeit und die physiologischen Folgen seines Konsums ähneln den Effekten traditioneller Suchtsubstanzen, was seine Klassifikation als herkömmliches Lebensmittel infrage stellt. Angesichts der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Lasten, die durch hohen Zuckerkonsum entstehen, sind politische Massnahmen und eine stärkere öffentliche Aufklärung entscheidend, um den Konsum zu regulieren und gesündere Alternativen zu fördern.