Warum Europa keine Atombombe braucht (und welche Rolle die Schweiz in einer neuen Ära der Friedenspolitik übernehmen kann)

Inmitten der sich verschärfenden geopolitischen Spannungen und der eskalierenden Konflikte in Osteuropa begründet Markus Bernath, warum Europa eine Atombombe benötigt. Diese Frage spiegelt eine tief verwurzelte Unsicherheit wider. Der Autor hebt die Bedrohung durch Russlands Atomarsenal und die potenzielle Abkehr Amerikas von Europa unter einer möglichen Präsidentschaft Trumps hervor. Doch während die Idee einer europäischen Atomstreitmacht auf den ersten Blick Sicherheit zu versprechen scheint, ist sie letztlich ein gefährlicher Trugschluss, der die wahren Grundlagen des Friedens und der Sicherheit in Europa und weltweit ignoriert.

Warum Europa keine Atombombe braucht. Illustration: Daniel Frei

Daniel Frei – In Markus Bernaths Artikel «Warum Europa eine Atombombe braucht» («NZZ am Sonntag», 7.1.2024, Artikel hinter Paywall) wird, vor dem Hintergrund zunehmender Aggressionen von Russland und möglicher politischer Veränderungen in den USA, die Notwendigkeit einer europäischen Atomstreitmacht diskutiert. Bernath beschreibt die militärische Bedrohung durch Russland, insbesondere durch den Einsatz von Raketen in der Ukraine, und stellt die Frage, was passieren würde, wenn Russland seine Expansionspolitik fortsetzt. Er zitiert Experten, die für eine europäische Atomstreitmacht plädieren, um strategische Autonomie und Abschreckung zu erreichen, und diskutiert die bestehenden Atomwaffenarsenale von Grossbritannien und Frankreich sowie die komplizierte Haltung anderer europäischer Staaten zu Atomwaffen. Bernath betont die Unsicherheit in Bezug auf die amerikanische NATO-Verpflichtung und die mögliche Notwendigkeit, dass Europa seine eigene Verteidigung übernimmt.

Die Illusion nuklearer Sicherheit

Die Vorstellung, dass Atomwaffen ein Garant für Sicherheit sind, ist eine gefährliche Fehlannahme. Wie Geschichte und Forschung zeigen, erhöhen Atomwaffen das Risiko katastrophaler Konflikte. Sie sind Instrumente der Zerstörung, deren Existenz und potenzieller Einsatz gegen die grundlegenden Prinzipien der Menschlichkeit und des internationalen Rechts verstossen. Die Androhung oder der Einsatz von Atomwaffen, wie der Internationale Gerichtshof 1996 feststellte, verletzt generell die Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts​​.

Die Rolle der Schweiz: Ein Bekenntnis zu Frieden und Neutralität

In diesem Kontext spielt die Schweiz, verankert in ihrer Tradition der Neutralität und Friedensförderung, eine entscheidende Rolle. Ja, die Neutralität, ihre Bedeutung und Wirkung, müssen neu diskutiert und verhandelt werden. Aber davon handelt dieser Artikel nicht. Was trotzdem bleibt, ist die nach wie vor einzigartige Positionierung der Schweiz und ihre Glaubwürdigkeit, um in Europa und darüber hinaus als eine Stimme der Vernunft und der Verständigung zu fungieren​​. Statt dem Drängen nach atomarer Aufrüstung nachzugeben, sollte die Schweiz ihre diplomatischen Fähigkeiten nutzen, um den Weg für eine atomwaffenfreie Welt zu ebnen. Was auch den oben erwähnten Neutralitätsbegriff wiederbeleben würde.

Ein strategischer Pfad zur atomwaffenfreien Welt

Die Vision einer atomwaffenfreien Welt ist keine Utopie, sondern eine realisierbare Notwendigkeit. Initiativen wie die internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) haben gezeigt, dass ein breites internationales Bündnis für das Verbot von Atomwaffen existiert und wächst. ICANs Bemühungen, die Aufmerksamkeit auf die humanitären Konsequenzen von Atomwaffen zu lenken, wurden 2017 mit dem Friedensnobelpreis belohnt und markieren einen Wendepunkt im globalen Diskurs über Nuklearwaffen​​.

Europas Weg vorwärts: Abrüstung und Dialog

Europas Sicherheit liegt nicht in der Anhäufung von Atomwaffen, sondern in der Stärkung des Dialogs, der Diplomatie und der Abrüstung. Der Vorschlag, eine europäische Atomstreitmacht zu schaffen, ignoriert die Lehren aus der Geschichte und die realen Risiken, die solche Waffen mit sich bringen. Stattdessen sollte Europa, angeführt von Ländern wie der Schweiz, einen umfassenden Ansatz zur Konfliktlösung und Friedensförderung verfolgen, der auf Kooperation, gemeinsamen Sicherheitsinteressen und dem Respekt für internationale Normen basiert.

Ein Appell für Frieden und Zusammenarbeit

Die Idee einer europäischen Atomstreitmacht mag angesichts der aktuellen geopolitischen Herausforderungen verlockend erscheinen, doch sie birgt das Potenzial für einen gefährlichen Rückschritt. Die Schweiz, mit ihrer Geschichte der Neutralität und ihres Engagements für den Frieden, kann und sollte eine Schlüsselrolle bei der Förderung eines atomwaffenfreien Europas und einer Welt spielen, die auf den Grundsätzen des Dialogs, der Kooperation und des gegenseitigen Verständnisses basiert.