Was ist Hypervigilanz und ein anhaltendes Bedrohungsgefühl?

Hypervigilanz, die ständige Wachsamkeit gegenüber potenziellen Gefahren, ist ein zentrales Merkmal der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (CPTSD). Sie zeigt sich in verschiedenen Formen – von der Überempfindlichkeit gegenüber Situationen, sozialen Interaktionen oder körperlichen Symptomen bis zu einem anhaltenden Gefühl von Bedrohung, das den Alltag prägt. Dieser Zustand hält Körper und Geist in einem Kreislauf aus Stress, Vermeidung und Angst gefangen, der ohne gezielte therapeutische Unterstützung kaum zu durchbrechen ist. Nur durch Traumaverarbeitung und das Wiedererlangen von Sicherheit wird ein Leben jenseits der dauerhaften Alarmbereitschaft möglich.

Hypervigilanz, die ständige Wachsamkeit gegenüber potenziellen Gefahren, ist ein zentrales Merkmal der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (CPTSD).

Hypervigilanz, die ständige Wachsamkeit gegenüber potenziellen Gefahren, ist ein zentrales Merkmal der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (CPTSD). Illustration: @yuda.aiii

Daniel Frei – Hypervigilanz, ein ständiger Zustand erhöhter Wachsamkeit, kann sich auf verschiedene Weise äussern und zeigt sich in unterschiedlichen Varianten, abhängig von der individuellen Person und ihrem Kontext. Hier einige häufige Varianten von Hypervigilanz:

Situationsbezogene Hypervigilanz

Diese Form tritt auf, wenn bestimmte Orte, Personen oder Umstände eine verstärkte Wachsamkeit auslösen. Beispielsweise kann ein Mensch, der in der Vergangenheit eine bedrohliche Erfahrung in einer Menschenmenge gemacht hat, in ähnlichen Umgebungen hypervigilant werden.

Emotionale Hypervigilanz

Betroffene achten übermässig auf emotionale Signale oder subtile Veränderungen im Verhalten anderer. Sie sind oft sehr empfindlich gegenüber emotionalen Schwingungen und interpretieren jede kleine Veränderung als potenzielles Risiko.

Physische Hypervigilanz

Bei dieser Form nehmen Betroffene verstärkt körperliche Reaktionen wahr, wie Herzschlag, Atemveränderungen oder Muskelanspannung, die bei kleinsten Stressfaktoren auftreten. Dies führt oft zu einer Überbewertung der eigenen körperlichen Symptome als Gefahrensignale.

Gedankliche Hypervigilanz

Hierbei dreht sich die Aufmerksamkeit permanent um mögliche Bedrohungen oder Gefahren, und die Gedanken werden durch negative oder ängstliche Überlegungen dominiert. Man analysiert ständig vergangene oder zukünftige Situationen auf potenzielle Risiken hin.

Hypervigilanz gegenüber sozialen Interaktionen

Menschen mit dieser Variante beobachten akribisch das Verhalten und die Worte anderer, um potenzielle Bedrohungen oder Konflikte vorherzusehen. Sie neigen dazu, in sozialen Situationen übermässig aufmerksam und oft misstrauisch zu sein.

Hypervigilanz gegenüber Veränderungen

Kleinste Veränderungen in der Umgebung, sei es ein Geräusch, ein Lichteinfall oder eine neue Person im Raum, werden als potenzielles Risiko wahrgenommen. Dies tritt häufig bei Menschen auf, die in Umgebungen mit unvorhersehbaren Bedrohungen leben oder gelebt haben.

Diese Formen können auch kombiniert auftreten, was zu einer besonders belastenden Hypervigilanz führen kann.

Das anhaltende Gefühl der Bedrohung

Ein konstanter Zustand von Angst, Unsicherheit und Stress gehört ebenfalls zu den Kernsymptomen von CPTSD. Wenngleich keine unmittelbare Gefahr besteht, fühlen sich Betroffene oft bedroht oder unsicher. Dieses Gefühl durchzieht ihren Alltag und beeinflusst Entscheidungen, Beziehungen und die Fähigkeit, das Leben zu geniessen.

Das anhaltende Bedrohungsgefühl ist eng mit den anderen Symptomen verknüpft: Die Hypervigilanz verstärkt das Gefühl, ständig in Gefahr zu sein, während Flashbacks und Vermeidung verhindern, dass die Betroffenen ihre Sicherheit in der Gegenwart wahrnehmen können. Dieser Zustand ist nicht nur psychisch belastend, sondern hat auch physische Auswirkungen, da der Körper ständig Stresshormone wie Cortisol ausschüttet.

Ein dauerhafter Stresszustand

Die Kernsymptome von CPTSD verstärken sich oft gegenseitig und bilden einen Kreislauf, der es den Betroffenen erschwert, zur Ruhe zu kommen. Das Wiedererleben des Traumas führt zu Vermeidungsverhalten, das wiederum soziale Isolation und den Verlust von Unterstützung nach sich ziehen kann. 

Hypervigilanz und das anhaltende Bedrohungsgefühl halten den Körper in einem dauerhaften Stresszustand, was die Heilung zusätzlich erschwert. Eine frühzeitige und präzise Diagnostik ist entscheidend, um diesen Kreislauf zu durchbrechen. Therapieansätze, die auf Traumaverarbeitung und die Wiederherstellung von Sicherheit und Stabilität abzielen, können den Betroffenen helfen, ein Leben jenseits der ständigen Alarmbereitschaft zu führen.

 

Quellen

  • World Health Organization (WHO), International Classification of Diseases (ICD-11): Link

  • Van der Kolk, B. (2014). The Body Keeps the Score: Brain, Mind, and Body in the Healing of Trauma.

  • Herman, J. (1992). Trauma and Recovery: The Aftermath of Violence–From Domestic Abuse to Political Terror.