Warum sind wir Schweizer:innen humorfrei?
Die Schweizer:innen und unser Humor – oder das, was davon übrig bleibt. Unsere Schweiz – Land der Berge, des Käses und der neutralen Gesichtsausdrücke. Hier, wo die Züge pünktlicher sind als die Pointen, stellt sich die Frage: Warum ist Humor bei uns so selten wie ein Konto ohne Gebühren? Liegt es an den Höhenlagen, der nationalen Effizienz oder an einer kulturellen Abneigung gegen Albernheit? Von Wilhelm Tell, der die Armbrust spannte, aber keinen Witz über Äpfel machte, bis zu Henri Dunant, dessen humanitäre Vision tief beeindruckt, aber sicherlich nicht zum Schmunzeln anregt – die Schweizer:innen bevorzugen Ernsthaftigkeit. Wir sind Meister der Demokratie, Banken und Neutralität, aber Humor bleibt ein Fremdkonzept, lieber schämen wir uns fremd. Können wir wirklich nicht lachen? Vielleicht beim Fondue, wo das Lächeln zumindest als höflich gilt. Bis dahin bleibt uns die Kunst der Ironie – leise, subtil, und oft nur für Insider verständlich. Humor? Nicht unser Rechaud, aber immerhin läuft der Käse … und die Züge.
Daniel Frei – Unsere liebe Schweiz, oh du liebste, Land der Alpen, des Käses, der Uhren und der Neutralität. Ein Ort, an dem die Züge pünktlich und die Kühe besser versichert sind als die meisten Menschen weltweit. Aber wenn es um Humor geht, stellt sich eine grundlegende und grundsätzliche Frage: Warum sind Lachen und Humor hierzulande so rar wie ein Bankkonto ohne Gebühren? Sind wir humorlos geboren, durch unsere Berge eingeengt oder einfach zu effizient, um Witze zu machen?
Die Schweizer als Kämpfer: Mit der Armbrust, nicht mit der Pointe
Es beginnt mit Wilhelm Tell. Unser nationaler Mythos, der Mann, der eine Armbrust spannte und den Apfel traf, aber keinen einzigen schlagfertigen Spruch abfeuerte. Die Geschichte der Eidgenossenschaft ist geprägt von heldenhaften Kämpfen gegen fremde Mächte – von Habsburgern über Burgunder bis zu den Römern. Schweizer Söldner galten als die Elitekämpfer Europas, gefürchtet für ihre Disziplin und Präzision. Aber während andere Kulturen Lieder und Balladen zur Unterhaltung ihrer Truppen schrieben, perfektionierten die Schweizer den schweigenden Angriff.
Historiker:innen argumentieren, dass dies mit unserer Mentalität zusammenhängt: Effizienz vor Ausdruck, Tat vor Theater. Wie sagte Napoleon einst (der übrigens massgeblich an der Gestaltung der modernen Schweiz beteiligt war): «In der Schweiz zählen die Berge mehr als die Worte.» Wenn Humor eine Waffe ist, dann war sie bei uns nie Teil des Waffenarsenals.
Die Demokratie: Eine ernste Angelegenheit
Die Schweiz ist eine der ältesten und stabilsten Demokratien der Welt. Aber wenn man bedenkt, dass diese demokratischen Strukturen teilweise durch Napoleon Bonaparte eingeführt wurden, könnte man sich fragen, warum wir das Prinzip der Demokratie von den Französinnen und Franzosen übernommen haben, nicht aber ihren Witz.
Die Volksabstimmungen, eines unserer stolzesten demokratischen Instrumente, bieten zwar Raum für Debatten, aber selten für Humor. Wenn ein Volk darüber abstimmt, ob Kühe ihre Hörner behalten dürfen (oder ob in Zürich gegendert wird oder nicht), ist das zwar inhaltlich interessant, aber weit entfernt von brauchbarem Comedy-Material. Es zeigt die nationale Ernsthaftigkeit, die uns prägt: Selbst die absurdesten Themen werden mit Sachlichkeit behandelt, denn Ironie würde dem Mythos der «neutralen Schweiz» wohl widersprechen.
Das Bankensystem: Wo Witze unzulässig sind
Die Schweizer Banken – ein Symbol der Diskretion und Effizienz. Kein Ort, an dem ein Kundinn:engespräch mit «Haben Sie gehört, was der Steuerfahnder gesagt hat?» beginnt. Die Legende der schweizerischen Verschwiegenheit zeigt sich auch in unserem Umgang mit Humor: Lachen ist riskant. Es könnte als Unsicherheit, ja als Schwäche gewertet werden. Oder ist unsere Zahnstellung inakkurat? Man weiss es nicht.
Und doch: Wenn man sieht, wie das Schweizer Bankensystem durch internationale Regulierungen und Skandale ins Wanken gerät, könnte man fast einen Hauch von Ironie erkennen. Oder, wie der britische Komiker John Cleese sagen würde: «Selbst die grösste Sicherheit birgt das Risiko eines Komödienpotentials.»
Humanismus und Humor: Dunant, die UNO und die Schweiz als Weltgewissen
Henri Dunant, der Gründer des Roten Kreuzes, symbolisiert unser humanitäres Erbe. Seine Vision war es, Leid zu lindern und Neutralität im Angesicht des Krieges zu bewahren. Mehr als bewundernswert und man wünschte sich neue Frauen und Männer seines Formats. Aber eben auch sehr, sehr ernst.
Die Schweiz beherbergt die UNO und nimmt weltweit Vermittlerrollen ein, ob in den Iran-Gesprächen oder in anderen geopolitischen Krisen. Diese Position des moralischen Kompasses erfordert ein Höchstmass an Ernsthaftigkeit. Dunant selbst: «Die Neutralität ist kein Witz.» Und genau hier liegt das Problem: Humor erfordert oft, Partei zu ergreifen, zu übertreiben, zu polarisieren – und das liegt uns schlicht und einfach nicht.
Ironie, Sarkasmus und der rare Moment des Lachens
Man könnte argumentieren, dass Ironie und Sarkasmus durchaus Formen des Humors sind, und in diesen Disziplinen sind wir äusserst talentiert. Doch wie Oscar Wilde einst bemerkte: «Ironie ist die Waffe des Intellektuellen, aber oft eine Barriere für echtes Lachen.» Unser Humor bleibt intellektuell und unterkühlt, was an und für sich schon eine Aussage ist: Wir lachen, aber nur leise, bitte, oder?!
Natürlich gab es auch Ausnahmen. Clown Grock beispielsweise, der die Bühnen Europas mit seinen absurden Darbietungen eroberte, und Emil Steinberger, der mit lakonischen Anekdoten ein grosses Publikum begeisterte, sind zwei helvetische Leuchttürme des Humors. Aber ihre Popularität verdeutlicht eher, wie aussergewöhnlich sie sind.
Warum uns der Humor fehlt
Am Ende liegt es vielleicht an der nationalen Mentalität: Die Schweiz ist ein Land des Konsenses, der Präzision und der Neutralität. Humor aber lebt von Bruchlinien, Übertreibungen und Konflikten. Vielleicht müssen wir als Volk lernen, weniger ernst zu sein, unsere Fehler zu umarmen und auch mal über uns selbst zu lachen.
Bis dahin bleibt uns die Gewissheit, dass wir andere Dinge besser können – Demokratie, Bankgeschäfte, Diplomatie. Und vielleicht, nur vielleicht, ist das Lächeln, das wir mit einem perfekt servierten Fondue teilen, am Ende auch eine Form von Humor.
Quellen
Napoleon Bonaparte über die Schweiz, zitiert in diversen historischen Analysen (siehe: Schweizerisches Nationalarchiv)
Henri Dunant, «Eine Erinnerung an Solferino», Erstveröffentlichung 1862
Emil Steinberger, Interviews und Werke, Sammlung der Stiftung Schweiz Tourismus
John Cleese, «So, Anyway …», Random House, 2014
Diverse Artikel zu den Schweizer Banken in der Financial Times und Neue Zürcher Zeitung