Weitere Symptome und Auswirkungen von CPTSD: Sucht und Suchtverhalten – Betäubung als Bewältigungsstrategie
Komplexe posttraumatische Belastungsstörung (CPTSD) geht oft mit intensiven emotionalen und psychischen Belastungen einher. Viele Betroffene entwickeln Strategien, um mit den überwältigenden Gefühlen und Erinnerungen umzugehen, die durch ihre traumatischen Erlebnisse hervorgerufen werden. Eine der häufigsten Bewältigungsstrategien ist die Nutzung von Suchtmitteln oder süchtigem Verhalten, das als Betäubung oder Flucht vor der emotionalen Überforderung dient.
Daniel Frei – Der Griff zu Alkohol, Drogen oder Beruhigungsmitteln sind weitverbreitete Methoden, um emotionale Schmerzen zu dämpfen. Diese Substanzen wirken kurzfristig beruhigend oder euphorisierend und scheinen eine Art Kontrolle über die eigene Gefühlswelt zu ermöglichen.
Typische Muster sind:
Alkohol: Dient als sozialisierte Droge häufig der Enthemmung und vermeintlichen Entspannung, verschärft jedoch das Risiko für Depressionen.
Drogen: Substanzen wie Cannabis, Kokain oder Opioide bieten oft eine Flucht in ein kontrollierbares Erleben, können jedoch Abhängigkeiten und gesundheitliche Probleme hervorrufen.
Beruhigungsmittel: Benzodiazepine oder ähnliche Medikamente werden zur Angstreduktion eingesetzt, bergen aber ein hohes Suchtpotenzial.
Arbeitssucht und Burn-out
Arbeitssucht ist eine weniger offensichtliche Form der Betäubung, wird jedoch bei Betroffenen mit CPTSD häufig beobachtet. Arbeit gibt vielen das Gefühl, produktiv und kontrolliert zu sein, wodurch innere Unruhe vorübergehend gelindert wird. Diese Form der Kompensation hat jedoch eine dunkle Kehrseite:
Vermeidung von Emotionen: Arbeit wird genutzt, um sich von inneren Schmerzen abzulenken.
Überlastung: Chronisches Arbeiten führt oft zu physischen und psychischen Erschöpfungszuständen.
Isolierung: Zwischenmenschliche Beziehungen können durch exzessives Arbeiten vernachlässigt werden.
Zwanghafte Verhaltensweisen
Neben Substanzen finden Betroffene oft auch in zwanghaften Handlungen eine scheinbare Fluchtmöglichkeit. Diese bieten kurzfristige Ablenkung, doch langfristig verstärken sie das Gefühl der Hilflosigkeit und führen zu zusätzlichen Problemen:
Essstörungen: Kontrollierte Essensmuster oder Binge-Eating bieten eine Form von vermeintlicher Kontrolle oder Trost.
Sportsucht: Übermässiges Training wirkt als Ventil, belastet jedoch den Körper und isoliert Betroffene sozial.
Glücksspiel und andere Süchte: Das Suchen nach intensiven Reizen lenkt kurzfristig von innerem Schmerz ab, doch finanzielle und emotionale Konsequenzen verschärfen oft die Situation.
Risikoverhalten: Gefährliche Aktivitäten wie extremes Autofahren oder riskante Hobbys erzeugen einen Adrenalinkick, der temporär ein Gefühl von Lebendigkeit schafft.
Hypersexualität: Zwanghaftes Sexualverhalten oder der Drang nach riskanten sexuellen Begegnungen dienen oft als Flucht vor emotionalen Schmerzen oder als Versuch, emotionale Nähe zu kompensieren. Hypersexualität bei CPTSD kann sich in verschiedenen Formen zeigen, wie exzessivem Konsum von Pornografie, zwanghaftem Sexting oder häufigen, oft wahllosen sexuellen Begegnungen.
Der Teufelskreis von Sucht und Scham
Diese Bewältigungsstrategien sind durch ihre kurzfristige Wirksamkeit verführerisch, führen jedoch langfristig zu neuen Problemen. Der folgende Kreislauf ist typisch:
Auslöser: Überwältigende Emotionen oder Trigger rufen ein intensives Bedürfnis nach Betäubung hervor.
Suchtverhalten: Der Griff zu Substanzen oder zwanghaften Handlungen verschafft kurzfristige Linderung.
Scham und Schuldgefühle: Nach der Bewältigungshandlung folgen Gefühle von Versagen, Scham und Machtlosigkeit.
Verstärkung der Symptome: Diese negativen Gefühle verschärfen die ursprünglichen Symptome von CPTSD, was das Bedürfnis nach weiteren Betäubungsstrategien verstärkt.
Langfristige Konsequenzen
Gesundheitliche Schäden: Chronischer Substanzmissbrauch kann Organschäden, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und neurologische Beeinträchtigungen verursachen.
Soziale Isolation: Arbeitssucht und zwanghafte Verhaltensweisen führen oft dazu, dass soziale Beziehungen vernachlässigt oder zerstört werden.
Finanzielle Probleme: Spielsucht oder exzessiver Konsum belasten die finanzielle Sicherheit.
Psychische Verschlechterung: Suchtverhalten verstärkt Gefühle von Depression, Angst und Hoffnungslosigkeit, die mit CPTSD einhergehen.
Therapeutische Ansätze
Eine ganzheitliche Behandlung von CPTSD sollte diese Mechanismen berücksichtigen:
Traumatherapie: Methoden wie EMDR oder somatische Traumatherapie helfen, die ursprünglichen Ursachen zu bearbeiten.
Suchttherapie: Spezialisierte Programme für Betroffene mit komorbider Sucht und Traumafolgestörung.
Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen ermöglicht soziale Unterstützung und Reduktion von Schamgefühlen.
Achtsamkeitsbasierte Ansätze: Meditation, Yoga oder Atemtechniken fördern die Selbstregulation und bieten alternative Strategien zur Bewältigung von Stress.
Quellen
van der Kolk, B. (2014). The Body Keeps the Score. Penguin Books.
Herman, J. L. (1992). Trauma and Recovery. Basic Books.
Bessel van der Kolk Institut. (2023). «Suchtverhalten bei traumatisierten Menschen».
Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin (SSAM). (2023). «Trauma und Sucht – Wechselwirkungen».