Warum ich mich (vorerst) nicht mehr an Beachcleaning-Aktivitäten beteilige: mea culpa, mea maxima culpa

Beachcleaning auf Bali: Mit Handschuhen, Müllsäcken und gutem Willen wollte ich helfen, doch mein Engagement fühlte sich bald leer an. Belächelt von Einheimischen, begann ich zu reflektieren: War ich, der weisse Tourist, hier wirklich die Lösung – oder Teil des Problems? Mit 2,5 bis 4 Tonnen CO₂ für einen Monat Ferien, einem Konsum, der den von Balines:innen um ein Vielfaches übertrifft, und einem Verhalten, das paternalistisch wirkt, wurde mir klar: Wahre Veränderung beginnt nicht mit meiner Aktivität, sondern mit Bildung, Respekt und dem Mut, meinen eigenen Lebensstil radikal zu hinterfragen.

Balis Abfallkrise: ich Teil des Problems. Fotografie: Daniel Frei

Daniel Frei – Bali, einst das tropische Paradies unserer Träume, mit lächelnden Menschen in harmonischer Balance, steht vor einer enormen Abfallkrise. Die Strände, die Touristinn:en aus der ganzen Welt anziehen, sind nun mit Müll gesättigt wie die Landschaften, die auf Instagram zelebriert werden. Diese Verschmutzung resultiert sowohl aus dem Verhalten der Balinesinn:en als auch von mir, uns, den Touristinn:en. Flüsse transportieren zudem die Abfälle aus den Bergregionen und leiten sie ins Meer, wodurch sowohl die gesamte balinesische Landschaft als auch die Strände beeinträchtigt werden.

Die Wurzeln von Balis Müllproblem

Indonesien ist nach China der zweitgrösste Verursacher von Plastikmüll in den Weltmeeren. Schätzungen zufolge gelangen jährlich etwa 1,29 Millionen Tonnen Plastikabfälle von Indonesien aus in die Ozeane. Auf Bali wird das Problem durch mehr als unzureichende Abfallentsorgungssysteme und mangelndes Umweltbewusstsein verschärft. Viele Haushalte entsorgen ihren Müll durch Verbrennen oder illegale Deponien, was die Umwelt zusätzlich belastet. Vor Ort spürt man rasch, dass die Probleme aber sehr viel komplexer sind. Ich erinnere mich an meine ersten Beachcleaning-Aktionen: ausgestattet mit Müllsäcken, Handschuhen und einer klaren Mission, «etwas Gutes zu tun». Doch anstatt Anerkennung oder Dankbarkeit zu erfahren, wurde ich von den Einheimischen eher belächelt, manchmal sogar ausgelacht.

 

Der schmerzhafte Moment der Einsich

Am Anfang habe ich das Unverständnis der Einheimischen nicht begriffen. Warum reagierten sie nicht wie ich? Warum schienen sie nicht empört zu sein über den Müll? Doch nach mehreren Gesprächen mit Balinesinn:en wurde mir klar, dass mein Handeln aus ihrer Perspektive paternalistisch, bevormunden wirkt. Ein weisser, wohlhabender Tourist aus dem reichen, paradiesischen Westen, der ihre Strände säubert? Was soll das?! Und vor allem: Wer bin ich, ihnen vorzuschreiben, wie sie mit ihrer Umwelt umzugehen haben? Bali ist kein Schlaraffenland, wie wir denken.

Die Menschen hier kämpfen oft ums tägliche Überleben, sind keinesfalls glücklicher als wir, nur weil sie ein Lächeln auf den Lippen tragen. Ein weiterer Mythos, der abgeschafft gehört. Die Priorität der Einheimischen liegt darin, ihre Familien zu ernähren, über die Runden zu kommen, nicht darin, ein globales Umweltbewusstsein zu entwickeln. In ihren Augen sieht mein Engagement aus wie ein Eingriff von aussen, wie ein Urteil, dass sie ihre Angelegenheiten nicht im Griff haben. Das schmerzte mich: Ich wollte nicht urteilen, ich wollte helfen, gutes tun.

 

Die Rolle des Tourismus

Der Tourismus ist ein zweischneidiges Schwert für Bali. Einerseits trägt er erheblich zur Wirtschaft und zum steigenden Wohlstand bei, andererseits erhöht er den Ressourcenverbrauch und die Abfallproduktion massiv.

Einige Rechenbeispiele zur Veranschaulichung:

  • Als Tourist verbrauche ich täglich fünfmal so viele Ressourcen wie ein:e Einheimische:r.

  • Ein Resort mit 200 Zimmern benötigt so viel Wasser und Energie wie ein Dorf mit 1’000 Einwohnerinn:en.

  • Ein Monat Ferien auf Bali verursacht durch Flüge, Unterkunft, Transport und Konsum durchschnittlich etwa 2,5 bis 4 Tonnen CO₂-Emissionen, was der Ökobilanz für 8 bis 12 Jahre eines durchschnittlichen Einwohners entspricht.

Dieser übermässige Verbrauch belastet die Infrastruktur und führt zu Umweltproblemen.

Ich begann zu reflektieren: Ich als Tourist bin mit das Problem. Mein Konsumverhalten, mein Flug hierher, leistet einen viel grösseren Beitrag zur Krise als die Plastikflaschen, die an den Stränden angespült werden. Eine bittere Einsicht, die mein Verständnis von Verantwortung erweiterte, CO₂-Kompensation und Mülltrennung hin oder her.

 

Flüsse als Mülltransporteure

Weiter spielen Balis Flüsse eine zentrale Rolle bei der Verbreitung von Abfällen. Sie transportieren Müll aus dem Inland in die Küstengebiete, wo er an den Stränden angespült wird. Während der Regenzeit wird dieses Problem durch starke Niederschläge und Überschwemmungen weiter verschärft. Laut der Organisation Sungai Watch sind über 60 Prozent des Plastiks in Balis Flüssen Einwegverpackungen, die oft aus Haushalten stammen. Hier wurde mir klar, dass Beachcleaning nicht einmal an der Oberfläche kratzt. Der Müll, den ich aufsammelte, war nur ein winziger Bruchteil dessen, was Tag für Tag nachkam. Das eigentliche Problem liegt in den Strukturen: fehlende Abfallsysteme, fehlendes Bewusstsein, die Abhängigkeit von Plastikprodukten und wir ignoranten, wohlmeinenden und besser wissenden Touristinn:en.

Bildung als Schlüssel zur Veränderung

Eine nachhaltige Lösung erfordert, dass die balinesische Bevölkerung von Kindesbeinen an ein Bewusstsein für die Umwelt entwickelt. Kinder sollen in der Schule lernen, wie sie Müll vermeiden, trennen und recyceln können. Studien zeigen, dass Umweltbildung in jungen Jahren die Einstellung zu nachhaltigem Verhalten grundlegend beeinflusst. Eine Untersuchung der UNESCO bestätigt, dass Bildung entscheidend dazu beiträgt, nachhaltige Lebensstile zu fördern. Doch dabei darf keine Überheblichkeit einhergehen. Die Balinesinn:en haben genauso das Recht wie wir, ihren eigenen Weg zu gehen. Sie benötigen Zeit, Raum und vor allem Unterstützung, um Lösungen zu finden, die in ihrem kulturellen und wirtschaftlichen Kontext funktionieren. Mein Job als Tourist oder Aussenstehender ist es nicht, diese Prozesse zu diktieren, sondern sie zu respektieren und mein eigenes Reiseverhalten mehr als zu hinterfragen.

Engagement der Balinesinn:en

Es liegt in der Hand der Balinesinn:en, ihre Insel zu retten. Internationale Hilfsprojekte und Beachcleaning-Aktionen sind nur verdampfender Tropfen auf den heissen Stein. Ohne das Engagement der lokalen Bevölkerung können die Strände nicht nachhaltig sauber gehalten werden. Die Verantwortung beginnt im Alltag: Mülltrennung zu Hause, das Vermeiden von Plastik und die Teilnahme an gemeindebasierten Initiativen sind entscheidend. Ein inspirierendes Beispiel ist das Dorf Tenganan, wo die Gemeinschaft strenge Regeln zur Abfallvermeidung aufgestellt hat. Durch gemeinsames Engagement und Bildung konnten sie ein Vorbild für nachhaltigen Tourismus schaffen. Solche Erfolgsgeschichten sollten als Inspiration dienen, um den Wandel auf der gesamten Insel voranzutreiben.

Die Grenzen von Beachcleaning-Aktionen

Obwohl Beachcleaning-Aktionen gut gemeint sind, gleichen sie oft dem Versuch, einen Ozean mit einem Tropfen zu füllen. Dabei ist der Ozean im ganzen Tropfen. Diese Initiativen schaffen kurzfristig saubere Strände, lösen aber nicht die systemischen Probleme. Und schlimmer noch, sie können das Bild reproduzieren, dass Hilfe von aussen kommen muss, statt von innen. Ich musste lernen, dass wahre Veränderung nicht von meiner Aktivität abhängt, sondern von der Eigenverantwortung der Menschen vor Ort und von meinem eigenen Verhalten.

Hoffnung und der Weg nach vorn

Die Enttäuschung über die aktuelle Situation auf Bali ist gross und verständlich. Aber es gibt Hoffnung. Durch gezielte Bildungsprogramme, nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und gemeinschaftliche Anstrengungen können wir einen Wandel herbeiführen. Die Kinder, die heute über die Umwelt lernen, sind morgen die Führungskräfte, die Bali zu einer nachhaltigeren Zukunft führen. Es ist nicht meine Aufgabe, Bali zu retten. Meine Aufgabe ist es, meinen Konsum zu überdenken, meine Privilegien zu hinterfragen und mit Respekt zuzusehen, wie Bali seinen eigenen Weg findet – einen, der seine Kultur bewahrt und gleichzeitig die Umwelt schützt.

Quellen

  • Umweltbundesamt: «Umweltbewusstsein in Deutschland 2022»

  • The Bali Sun: «Top Polluters Affecting Bali’s Tourist Beaches Revealed»

  • UNESCO: «Education for Sustainable Development»

  • The Diplomat: «Bali’s Garbage Emergency»

  • TripCanvas: «How tourism affects Bali’s environment»