Warum nächtliche, ruhestörende Auto-Corsos in Zürich problemlos sind, nicht aber abendliche, kaum hörbare Velo-Corsos

Zürich ist bekannt für fast schon pingelige Ordnung und Sauberkeit. Doch nach «grossen» Fussballspielen wird diese Idylle mehr regel als mässig durch ohrenbetäubendes Hupen und aufheulende Motoren gestört. Nachtruhe-störende, lautstarke Autokonvois rollen durch die Strassen und feiern (sich) bis weit nach Mitternacht. Diese Lärmbelästigungen werden toleriert und als Ausdruck der Freude akzeptiert. Im Gegensatz dazu stehen die friedlichen Velo-Fahrenden, die freitagabends durch Zürich radelten – ohne Motorenlärm und Gehupe, nur begleitet vom leisen Surren der Fahrräder und gelegentlicher, mitgeführter Musik. Dieser friedliche Protest wurde jedoch in dieser Form verboten. Warum wird die eine Art der nächtlichen Aktivität toleriert, während die andere unterdrückt wird? Mein Kommentar zur Doppelmoral der Lärmtoleranz und ein Plädoyer für mehr Gleichberechtigung und friedliche Velofahrten in Zürich.

Velos und Autos oder wenn zwei das Gleiche tun ist es nicht dasselbe. Illustration: Daniel Frei

Daniel Frei – Zürich ist für fast schon pingelige Ordnung und Sauberkeit bekannt. Doch an manchen Nächten, nach «grossen» Fussballspielen, wird diese Idylle durch ohrenbetäubendes Hupen und das Aufheulen-lassen von Motoren massiv gestört. Autokonvois rollen Nachtruhe-störend durch die Strassen, und die Feiernden zelebrieren ihre Freude über den Sieg ihrer Mannschaft lautstark und unüberhörbar. Motoren röhren, Hupen ertönen, und die Nacht wird bis weit nach Mitternacht zum Tag, nach Spielende unmittelbar beginnend. Das beste: Das Lärmen wird toleriert, ja sogar als Ausdruck des Feierns akzeptiert.

Velofahren: Die stille Rebellion

Im Gegensatz dazu stehen die friedlichen Velofahrer:innen von Critical Mass, die früher «unbewilligt», jeweils am letzten Freitagabend des Monats, durch Zürich radelten und dafür kriminalisiert wurden. Kein Motorenlärm, kein Gehupe, dafür das leise Surren der Fahrräder, lachende Menschen, und immer wieder das eine und andere Velo, bestückt mit einem Gettoblaster. Der Spuk für die Anwohner:innen aber nach wenigen Minuten vorbei. Doch dieser friedliche und gemässigte Protest (oder passiver Widerstand) gegen die Dominanz des Autos wurde verboten und es wurde verlangt, dass die Bewegung eine ordentliche Bewilligung einholt. Dies, obwohl diese behaupten, dass sie nicht organisiert sind, sondern bloss Verkehr. Wie eben die oben erwähnten Autofahrer:innen?

Die Doppelmoral der Lärmtoleranz

Warum wird die eine Art der nächtlichen Aktivität toleriert, während die andere unterdrückt wird? Ist es eine Frage der Perspektive und der Macht? Wenn Fussballfans nach einem Sieg mit Auto-Corsos unbewilligt stundenlang hupend durch das Quartier fahren und feiern und die Nachtruhe tausender massiv stören, wird dies als eine legitime und verständliche Ausdrucksform ihrer Freude gesehen. Der Lärm, der dabei entsteht, wird als unvermeidbarer Bestandteil der Feierlichkeiten akzeptiert. Doch wenn Velofahrer:innen im Corso einmal monatlich durch die Stadt rollen, wird dies als störend wahrgenommen und die Behörden rechtfertigen das Verbot des einen Corsos mit Sicherheitsbedenken und fehlender Genehmigung. Und pikantes Detail: Die Velofahrer:innen sind mehrheitlich aus Zürich, die Autofahrer:innen aus der Agglomeration (eine Behauptung, die sicher einfach zu beweisen wäre).

Sicherheit oder Kontrolle?

Der offizielle Grund für das Verbot der Velo-Corsos ist die Sicherheit, dass die Velofahrer:innen etwa Blaulicht-Organisationen beim Durchkommen behindern. Doch stellt sich die Frage, warum die nächtlichen Autokonvois, die wesentlich mehr Risiko für Unfälle und Lärmbelästigung mit sich bringen, ohne an die mit grosser, anzunehmender Wahrscheinlichkeit alkoholisierten Fahrer:innen zu denken oder was passiert, wenn eine Fahrer:in beim Angeben mit der Potenz des eigenen Autos die Kontrolle darüber verliert, nicht ebenso streng reguliert werden. Es scheint, als ob es hier nicht nur um Sicherheit geht, sondern um Kontrolle und die Wahrnehmung dessen, was als akzeptabel angesehen wird. Eine friedliche, verhältnismässig leise Gruppe von Velofahrer:innen wird als unkontrollierbar und potenziell störend wahrgenommen, während die lautstarken, nächtlichen Autokonvois trotz ihrer offensichtlichen Störfaktoren toleriert werden.

Der Humor in der Ironie

Die Situation ist fast schon komisch in ihrer Ironie. Einerseits eine Gruppe von Menschen, die (sich) lautstark und rücksichtslos feiert und die gesetzliche Nachtruhe über alle Massen stört, andererseits eine Gruppe, die sich still und friedlich abends durch die Stadt bewegt. Doch die stille Gruppe wird verbannt, während die lautstarke toleriert wird. Diese Diskrepanz bietet reichlich Stoff für humorvolle Betrachtungen. Es ist, als ob Zürich seine eigenen Regeln der Lärmtoleranz hat, die mehr mit subjektiven Wahrnehmungen und weniger mit objektiven Kriterien zu tun haben.

Vielleicht ist es an der Zeit, die Regeln der nächtlichen Aktivitäten in Zürich zu überdenken? Eine Stadt, die stolz auf ihre Ordnung und Fairness ist, sollte auch in der Lage sein, eine friedliche Gruppe Velofahrer:innen zu akzeptieren. Der Lärm und die Störung, die von den Autokonvois ausgehen, sind sicherlich nicht weniger problematisch als eine stille Masse von Radfahrern. Ein ausgewogenerer und fairer Ansatz könnte darin bestehen, beiden Gruppen den Raum zu geben, sich auszudrücken – sei es lautstark feiernd oder still und friedlich radelnd. Einzige Bedingung meinerseits: die absolute Einhaltung der Nachtruhe.

Also ich für meinen Teil hätte gern mehr Velo.