Warum wir Kernkraft und nicht Atomenergie sagen: über die Macht des Framings

In öffentlichen Debatten und den Medien werden Begriffe oft strategisch eingesetzt, um unsere Wahrnehmung zu beeinflussen. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Unterscheidung zwischen «Kernkraft» und «Atomenergie». Beide Begriffe beschreiben die gleiche Technologie, aber sie rufen ganz unterschiedliche Assoziationen hervor. «Kernkraft» klingt technisch und positiv, während «Atomenergie» eher Gefahr und Zerstörung signalisiert. Diese gezielte Wortwahl, auch «Framing» genannt, ist ein Instrument, das die öffentliche Meinung lenken kann – sei es in Fragen der Energiepolitik, Migration oder Steuerdebatten.

Framing: «Kernkraft» und «Atomenergie» – gleiche Technologie, unterschiedliche Assoziationen. Künstler:in: unbekannt - Fotografie: Daniel Frei

Daniel Frei – In der öffentlichen Diskussion und den Medien begegnen uns oft Begriffe, die auf den ersten Blick neutral erscheinen, in Wirklichkeit aber gezielt eingesetzt werden, um unsere Wahrnehmung zu beeinflussen. Einer dieser Begriffe ist «Kernkraft». Warum sprechen wir von «Kernkraft» und nicht von «Atomenergie»? Welche Bedeutung hat dieser Unterschied und wie beeinflusst er unser Denken?

Was ist Framing?

Framing beschreibt die gezielte Verwendung von Sprache, um eine bestimmte Wahrnehmung oder Meinung zu erzeugen. Es geht dabei nicht nur um die Fakten, sondern um den Rahmen, in dem diese präsentiert werden. Je nachdem, wie ein Thema «gerahmt» wird, können unterschiedliche Emotionen und Assoziationen geweckt werden. Das gilt besonders in politischen oder kontroversen Diskussionen, wo Begriffe bewusst eingesetzt werden, um bestimmte Botschaften zu vermitteln.

Ein klassisches Beispiel für Framing ist die Unterscheidung zwischen «Kernkraft» und «Atomenergie». Beide Begriffe beschreiben im Grunde dasselbe Phänomen: die Nutzung von atomaren Prozessen zur Energieerzeugung. Doch je nachdem, welchen Begriff man verwendet, wird die Technologie in einem anderen Licht dargestellt.

Kernkraft versus Atomenergie: Der Unterschied liegt im Wortlaut

Der Begriff «Kernkraft» klingt neutraler und technischer. Das Wort «Kern» erinnert uns an den Kern eines Apfels oder an den Kern der Erde – etwas Natürliches, Fundamentales. Es erweckt den Eindruck, dass es hier um einen soliden, unveränderbaren Teil der Natur geht. «Kraft» wiederum wird oft mit Stärke und Positivität assoziiert. Die Verbindung von «Kern» und «Kraft» erzeugt also ein Bild einer verlässlichen, stabilen Energiequelle.

Im Gegensatz dazu ruft «Atomenergie» andere Assoziationen hervor. Das Wort «Atom» ist in der Öffentlichkeit stärker mit Gefahr und Unsicherheit verbunden, besonders in Verbindung mit Atomwaffen oder Atomkatastrophen wie Tschernobyl oder Fukushima. «Atom» klingt nach Spaltung, Zerstörung und unkontrollierbaren Prozessen. Deshalb wirkt der Begriff «Atomenergie» bedrohlicher und negativer. So droht Putin etwa nicht mit Kernwaffen, sondern mit der Atombombe.

Die Macht der Sprache

Die Entscheidung, ob man von «Kernkraft» oder «Atomenergie» spricht, ist kein Zufall. Die Entscheidung für eine bestimmte Terminologie wurde in der Schweiz, ähnlich wie in Deutschland und Österreich, oft strategisch von verschiedenen Interessengruppen getroffen, um entweder die Akzeptanz von Kernenergie zu erhöhen oder um Bedenken gegen diese Technologie zu verstärken. Während in den frühen Jahren der Kernkraft in der Schweiz eine positivere und zukunftsorientierte Sichtweise betont wurde, veränderte sich dies nach grösseren Unfällen und der wachsenden Umweltbewegung, die sich gegen die Atomenergie stellte.

Der Ausstieg aus der Kernenergie, der nach dem Fukushima-Unglück 2011 in der Schweiz beschlossen wurde, hat auch die Sprachgewohnheiten beeinflusst. In der öffentlichen Diskussion wird zunehmend von «Atomenergie» gesprochen, wenn es um Risiken und den Ausstieg geht, während «Kernkraft» eher im Kontext technischer Diskussionen verwendet wird.

Zuwanderung vs. Migration vs. Expats – was ist’s jetzt?

In der Schweiz gibt es zahlreiche Beispiele für Framing, bei denen durch die bewusste Wortwahl politische oder gesellschaftliche Themen in einem bestimmten Licht dargestellt werden. Einige markante Beispiele sind:

  • Zuwanderung vs. Migration vs. Expats: Die Begriffe «Zuwanderung» und «Migration» werden oft in politischen Debatten unterschiedlich verwendet, je nachdem, ob man eine Bedrohung oder einen neutralen Prozess darstellen will. «Zuwanderung» kann den Eindruck erwecken, dass zu viele Menschen ins Land kommen, was eine Überlastung für die Schweiz darstellt. «Migration» wirkt dagegen neutraler und beschreibt eher einen globalen, natürlichen Prozess. Interessanterweise werden hoch qualifizierte ausländische Arbeitskräfte oft als «Expats» bezeichnet, was eine positivere Konnotation trägt, während Arbeitsmigranten mit weniger qualifizierten Tätigkeiten häufiger als «Migranten:innen» oder «Zuwander:innen» bezeichnet werden.

  • Steuererleichterung vs. Steuergeschenk: Befürworter:innen von Steuersenkungen sprechen oft von «Steuererleichterungen», was den Eindruck vermittelt, dass Bürger:innen von einer unnötigen Last befreit werden. Gegner:innen hingegen verwenden häufig den Begriff «Steuergeschenk», um zu suggerieren, dass die Senkung unverdient ist und auf Kosten des Staates oder anderer Bürger:innen geht.

  • Sozialhilfe vs. Sozialmissbrauch: In Diskussionen über Sozialleistungen wird oft von «Sozialhilfe» gesprochen, wenn es darum geht, Bedürftigen notwendige Unterstützung zukommen zu lassen. Kritiker:innen greifen jedoch oft auf den Begriff «Sozialmissbrauch» zurück, um den Fokus auf Betrugsfälle zu lenken und das System als anfällig für Missbrauch darzustellen, wodurch negative Assoziationen entstehen.

  • Eigenverantwortung vs. Solidarität: In Debatten über das Gesundheitssystem oder die Altersvorsorge wird häufig von «Eigenverantwortung» gesprochen, um auf die individuelle Pflicht zur Vorsorge zu pochen. Im Gegensatz dazu setzen Befürworter:innen einer kollektiven Lösung auf das Framing von «Solidarität», um den Gemeinschaftsaspekt und das Teilen von Risiken hervorzuheben.

  • Flüchtlinge vs. Asylbewerber:innen vs. Wirtschaftsflüchtlinge vs. Expats: In der Migrationsdebatte wird der Begriff «Flüchtlinge» oft verwendet, um auf den humanitären Aspekt hinzuweisen. «Asylbewerber:innen» klingt bürokratischer und distanzierter, während «Wirtschaftsflüchtlinge» den Eindruck erweckt, dass Menschen das Asylsystem ausnutzen, um wirtschaftliche Vorteile zu erlangen. Interessanterweise wird für hoch qualifizierte Migrantinn:en der Begriff «Expats» verwendet, was eine wohlwollende und weniger problematische Wahrnehmung dieser Gruppe erzeugt.

  • Ehe für alle vs. «Sonderrechte» für Homosexuelle: In der Diskussion um die gleichgeschlechtliche Ehe hat das Framing ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt. Befürworter:innen verwenden den Ausdruck «Ehe für alle», um Gleichberechtigung und Inklusion zu betonen. Gegner:innen hingegen sprechen oft von «Sonderrechten», um den Eindruck zu erwecken, dass eine spezielle Bevölkerungsgruppe unverdiente Vorteile fordert.

Diese Beispiele zeigen, wie Framing die Wahrnehmung von politischen und gesellschaftlichen Themen beeinflussen kann, indem es gezielt positive oder negative Assoziationen auslöst. Die Wahl der Worte ist daher oft ein strategisches Mittel, um Debatten in eine bestimmte Richtung zu lenken.

Wie Framing erkennen

Framing ist subtil, aber es kann eine grosse Wirkung haben. Um sich vor Manipulation zu schützen, ist es wichtig, ein kritisches Bewusstsein für die Macht der Sprache zu entwickeln. Hier sind einige Tipps, wie Sie Framing erkennen und analysieren können:

  • Achten Sie auf die Wortwahl: Welche Begriffe werden in einer Diskussion verwendet? Klingen sie neutral, positiv oder negativ?

  • Fragen Sie sich: Warum könnten diese Begriffe gewählt worden sein?

  • Überlegen Sie, welche Alternativen es gibt: Gibt es andere Worte, die dasselbe Phänomen beschreiben könnten, aber anders klingen? Wie würde die Diskussion aussehen, wenn andere Begriffe verwendet würden?

  • Betrachten Sie den Ursprung, die Quelle: Wer verwendet den Begriff? Handelt es sich um Politiker:innen, Medien oder Interessenvertreter:innen? Welche Ziele könnten diese mit ihrer Wortwahl verfolgen?

  • Fühlen Sie, welche Emotionen geweckt werden: Fühlen Sie sich durch einen bestimmten Begriff beruhigt, verärgert oder verängstigt? Emotionen sind oft ein Zeichen dafür, dass Framing im Spiel ist.


Bewusster Umgang mit der Sprache

Sprache ist ein mächtiges Werkzeug, das unsere Wahrnehmung und Meinungsbildung stark beeinflusst. Begriffe wie «Kernkraft» oder «Atomenergie» sind nicht nur neutrale Bezeichnungen für Technologien, sondern transportieren gezielt Emotionen und Assoziationen. Das bewusste Setzen von Begriffen, also das Framing, ist in politischen und gesellschaftlichen Debatten ein beliebtes Mittel, um die öffentliche Meinung zu steuern.

Indem wir uns dieser Mechanismen bewusst werden, können wir Manipulationen durch Sprache besser erkennen und kritisch hinterfragen. So können wir eine fundierte, faktenbasierte Diskussion führen – ohne uns durch die Macht der Worte in eine bestimmte Richtung lenken zu lassen.