Tri Hita Karana und Ubuntu: Über die Parallelen balinesischer und südafrikanischer Philosophien

Die Insel Bali fasziniert nicht nur durch ihre atemberaubenden Landschaften, sondern auch durch eine Kultur, die das Gemeinwohl über individuelle Interessen stellt. Dieses Prinzip findet sich auch in der südafrikanischen Philosophie des Ubuntu wieder, die die Verbundenheit und Menschlichkeit innerhalb der Gemeinschaft betont. Obwohl beide Konzepte in unterschiedlichen kulturellen und geografischen Kontexten entstanden sind, teilen sie bemerkenswerte Gemeinsamkeiten in ihren Grundwerten.

Bali, «Insel der Götter», ist nicht nur für ihre atemberaubenden Landschaften und Strände bekannt, sondern auch für eine tief verwurzelte Kultur, die Gemeinschaft über Individualität stellt. Fotografie: Daniel Frei

Daniel Frei – Tri Hita Karana ist eine traditionelle balinesische Lebensphilosophie, die wörtlich übersetzt “drei Ursachen des Wohlbefindens bedeutet. Sie basiert auf der Harmonie zwischen dem Menschen und dem Göttlichen (Parahyangan), den Mitmenschen (Pawongan) sowie der Umwelt (Palemahan). Dieses Konzept durchdringt viele Aspekte des balinesischen Lebens, von der Architektur über die Landwirtschaft bis hin zu sozialen Interaktionen. Ein prominentes Beispiel ist das Subak-Bewässerungssystem, ein gemeinschaftlich verwaltetes Netzwerk von Kanälen und Wehren, das die nachhaltige Nutzung von Wasserressourcen sicherstellt und die Zusammenarbeit innerhalb der Dorfgemeinschaften fördert. 

Ubuntu: Die südafrikanische Philosophie der Menschlichkeit

Ubuntu ist ein philosophisches Konzept aus dem südlichen Afrika, insbesondere verbreitet in Ländern wie Südafrika, Simbabwe und Namibia. Der Begriff stammt aus den Sprachen der Zulu und Xhosa und lässt sich mit “Menschlichkeit oder “Ich bin, weil wir sind übersetzen. Ubuntu betont die wechselseitige Abhängigkeit aller Menschen und die Bedeutung von Gemeinschaft, Mitgefühl und Solidarität. Es dient als ethischer Kompass, der individuelles Handeln in den Kontext des Gemeinwohls stellt. Wie Desmond Tutu es ausdrückte: “Eine Person mit Ubuntu ist offen und verfügbar für andere, fühlt sich durch andere bestätigt und gehört zu einem grösseren Ganzen. 

Gemeinsame Werte und Unterschiede

Sowohl Tri Hita Karana als auch Ubuntu legen grossen Wert auf Gemeinschaft, Harmonie und gegenseitigen Respekt. Während Tri Hita Karana spezifisch auf die balinesische Kultur und den Hinduismus ausgerichtet ist, spiegelt Ubuntu die sozialen und spirituellen Werte verschiedener südafrikanischen Gesellschaften wider. Beide Philosophien fördern jedoch ein Leben im Einklang mit anderen und der Umwelt, wobei die Gemeinschaft über das Individuum gestellt wird.

Herausforderungen der Gemeinschaftsorientierung

Trotz ihrer positiven Aspekte können stark gemeinschaftsorientierte Strukturen auch Herausforderungen mit sich bringen. In Bali kann die enge soziale Kontrolle innerhalb der Banjar (Dorfgemeinschaften) individuellen Ausdruck und persönliche Freiheit einschränken. Erwartungen an konformes Verhalten und die Einhaltung traditioneller Normen können sozialen Druck erzeugen und die individuelle Entfaltung hemmen. Ähnlich kann in südafrikanischen Gemeinschaften der kollektive Fokus von Ubuntu dazu führen, dass individuelle Bedürfnisse zugunsten des Gemeinwohls vernachlässigt werden. Diese Dynamik kann insbesondere für jüngere Generationen, die moderne Lebensstile anstreben, herausfordernd sein.

Individuelles Wohlbefinden ist verbunden mit der Gemeinschaft und der Umwelt

Die Philosophien von Tri Hita Karana und Ubuntu bieten gerade uns stark individualisierten Gesellschaften Einblicke in die Bedeutung von Gemeinschaft, Harmonie und gegenseitigem Respekt. Sie erinnern uns daran, dass individuelles Wohlbefinden eng mit dem der Gemeinschaft und der Umwelt verknüpft ist. Gleichzeitig ist es wichtig, ein Gleichgewicht zu finden, das sowohl kollektive als auch individuelle Bedürfnisse berücksichtigt, um eine nachhaltige und erfüllende Lebensweise zu fördern.