«Um ehrlich zu sein» versus «um offen zu sein»

In der alltäglichen, zwischenmenschlichen Kommunikation stossen wir auf Redewendungen, die mehr als blosse sprachliche Konstrukte sind. Sie tragen tiefere Bedeutungen und Werte, die unser Denken zeigen und unser Handeln beeinflussen. Eine solche Phrase ist «um ehrlich zu sein». Doch ist diese Wendung wirklich angemessen, sollten wir nicht lieber «um offen zu sein» sagen? In diesem Artikel beleuchte ich die Unterschiede zwischen diesen Ausdrücken und zeige, warum Offenheit der Schlüssel zu einer authentischen Kommunikation ist.

Daniel Frei – Ehrlichkeit ist zweifellos eine Tugend. Sie bedeutet, die Wahrheit zu sagen und nichts zu verbergen. Moralisch gesehen ist Ehrlichkeit unerlässlich für das Vertrauen in zwischenmenschlichen Beziehungen. Doch wenn wir den Ausdruck «um ehrlich zu sein» verwenden, implizieren wir, dass wir bisher nicht ehrlich waren. Diese Implikation wirft Fragen auf: Waren wir zuvor unehrlich? Haben wir Informationen zurückgehalten oder gelogen?

Sprachwissenschaftler wie der deutsche Linguist Karl Bühler betonen, dass Sprache nicht nur ein Mittel zur Informationsübertragung ist, sondern auch eine soziale Funktion erfüllt. Die Phrase «um ehrlich zu sein» kann daher als ein Versuch gesehen werden, die eigene Glaubwürdigkeit zu stärken. Sie suggeriert, dass das Gesagte von besonderer Bedeutung und Wahrheit ist. Doch dieser Ansatz kann auch Misstrauen wecken, da er die Annahme einer vorherigen Unehrlichkeit in sich trägt.

Offenheit als Ausdruck von Authentizität

Im Gegensatz dazu steht die Offenheit. Offen zu sein bedeutet, die eigenen Gedanken und Gefühle frei zu äussern. Es geht darum, Transparenz zu schaffen und eine echte Verbindung zu anderen Menschen herzustellen. Offenheit ist ein Zeichen von Vertrauen und Respekt gegenüber dem Gegenüber. Sie lädt ein, in einen echten Dialog zu treten und sich auf Augenhöhe zu begegnen.

Die Psychologin Brené Brown hat in ihren Forschungen zur Verletzlichkeit gezeigt, dass Offenheit und Verletzlichkeit eng miteinander verbunden sind. Menschen, die bereit sind, ihre Gefühle und Gedanken offen zu teilen, zeigen Mut und schaffen eine tiefere Verbindung zu ihren Mitmenschen. Diese Offenheit fördert das gegenseitige Verständnis und stärkt die Beziehung.

Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Sprachwahl

Linguistische Studien haben gezeigt, dass die Wahl der Worte einen erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung und die Reaktion des Gesprächspartners hat. Eine Studie der Universität Stanford aus dem Jahr 2015 untersuchte die Wirkung verschiedener sprachlicher Ausdrücke auf das Vertrauen und die Kooperationsbereitschaft in Gesprächen. Die Ergebnisse zeigten, dass Formulierungen, die Offenheit und Transparenz signalisieren, zu einer höheren Bereitschaft führten, auf das Gesagte einzugehen und gemeinsam Lösungen zu finden.

Ein weiteres Beispiel ist die Forschung von Paul Grice, der das Kooperationsprinzip in der Kommunikation beschrieb. Grice betonte, dass effektive Kommunikation auf den Maximen der Qualität, Quantität, Relevanz und Klarheit basiert. Die Verwendung von «um offen zu sein» erfüllt diese Maximen, da sie Transparenz schafft und keine unnötigen Implikationen mit sich bringt.

M(e)in Plädoyer für Offenheit

Die Phrase «um ehrlich zu sein» mag im ersten Moment harmlos erscheinen, doch ihre impliziten Botschaften können Missverständnisse und Misstrauen fördern. Stattdessen können wir uns bemühen, offen zu sein. Offenheit bedeutet, unser Herz zu öffnen und unsere Gedanken und Gefühle klar und direkt zu kommunizieren. Sie ist ein Ausdruck von Authentizität und Vertrauen, der die Grundlage für echte und tiefgehende zwischenmenschliche Beziehungen bildet. Die bewusste Entscheidung für Offenheit ist ein Schritt in Richtung einer ehrlicheren und authentischeren Kommunikation.