Warum fällt uns konstruktives Streiten so schwer?

In jeder Beziehung - ob privat oder beruflich - entstehen Konflikte. Manche:r mag gar behaupten, das Leben an und für sich sei ein Konflikt. Aber warum fällt es uns so schwer, konstruktiv zu streiten, wenn Streit uns unser Leben lang begleitet? Warum reagieren wir oft so emotional und warum warten wir manchmal zu lange, um das Problem anzusprechen? Eine Suche nach Antworten.

Höhenfeuer. Bild: Daniel Frei

Daniel Frei - Jeder von uns erlebt Konflikte; in einer Beziehung, bei der Arbeit, in sozialen Situationen. Doch was lösen diese Konflikte in uns aus und warum reagieren wir so, wie wir es tun? Die Antwort darauf liegt in einer Kombination aus biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren. Ehe wir uns mit der neurologischen Basis von Konflikten befassen, ist es wichtig zu verstehen, dass Konflikte sowohl negative als auch positive Aspekte haben können. Sie können Herausforderungen darstellen, uns aber auch helfen, zu wachsen, uns selbst besser zu verstehen und unsere Beziehungen zu vertiefen.

Unsere neurologischen Reaktionen auf Konflikte.

Konflikte können uns auf einer tiefen, instinktiven Ebene treffen. Wissenschaftlich gesehen provozieren sie unser limbisches System, den Teil unseres Gehirns, der für emotionale Reaktionen verantwortlich ist. Dr. Daniel Goleman, Autor von «Emotionale Intelligenz», erklärt, dass in stressigen Situationen ein «emotionaler Überlauf» auftreten kann, der dazu führt, dass rationale Gedanken von unseren Emotionen überschwemmt werden. Daher reagieren wir oft impulsiv oder emotional in einem Streit.

Kulturelle und erzieherische Prägungen.

Unsere Fähigkeit und Bereitschaft, Konflikte anzugehen, wird oft durch unsere Kindheit und Kultur beeinflusst. In einigen Kulturen und Familien wird direkte Konfrontation vermieden oder als respektlos angesehen. Professor Stella Ting-Toomey von der California State University beschreibt in ihren Studien, wie «kulturelle Variablen» unsere Kommunikationsstile und Konfliktlösungsstrategien beeinflussen können.

Die Angst vor Ablehnung.

Unsere Biologie spielt hier auch eine Rolle. Als soziale Wesen streben wir nach Akzeptanz und Zugehörigkeit. Konflikte können diese Bedürfnisse bedrohen und Ängste des Verlassenwerdens aktivieren, weshalb unser Körper Stresshormone ausschüttet, die zu Verteidigungs- oder Fluchtreaktionen führen können. Dies erklärt, warum wir manchmal vor einem Konflikt «fliehen» und zu lange warten, um ihn anzugehen.

Die Rolle von Kommunikationsfähigkeiten.

Nicht jede:r hat gelernt, wie effektiv zu kommunizieren oder Konflikte zu lösen. Laut einer Studie des Journal of Social and Personal Relationships sind Kommunikationsfähigkeiten entscheidend für das erfolgreiche Navigieren durch Konflikte. Das Fehlen dieser Fähigkeiten kann dazu führen, dass Menschen Streitigkeiten vermeiden oder sich in ihnen verlieren.

Emotionale Intelligenz und Streitkultur.

Emotionale Intelligenz, die Fähigkeit, die eigenen Emotionen und die von anderen zu erkennen und zu steuern, ist ein Schlüssel zum konstruktiven Streiten. Dr. John Gottman, ein renommierter Beziehungsforscher, betont, dass Paare, die ihre Emotionen regulieren können, eher zu Lösungen finden und ihre Beziehung stärken.

Der Weg zu konstruktiven Streitigkeiten.

Konstruktives Streiten ist nicht nur eine Fähigkeit, sondern auch eine Einstellung. Es erfordert Selbstbewusstsein, emotionale Intelligenz und den Willen, zu lernen und zu wachsen. Indem wir uns bewusst mit unseren eigenen Reaktionen auf Konflikte auseinandersetzen, können wir beginnen, effektivere und gesündere Wege zu finden, um mit ihnen umzugehen.