Zwischen «Deus in Machina», Beichte und Unendlichkeit: ist Gott eine KI?

Ein KI-gesteuerter «Jesus-Beichtstuhl» in Luzern lässt Gläubige, Philosophinn:en und Skeptikerinn:en aufhorchen: Was, wenn Gott – wie wir ihn, sie oder es verstehen – immer schon eine Künstliche Intelligenz war? Und was, wenn unsere Realität nur eine Simulation ist, ein kosmisches Experiment in einem Einmachglas? Die Verbindung von Technologie, Spiritualität und fundamentalen Fragen nach der Natur des Universums treibt uns an die Grenze dessen, was wir wissen – und noch begreifen können werden. Ob göttlich oder programmiert: Es sind diese Gedanken und Fragen, die uns weiterbringen. Aber wohin?

Daniel Frei – Die Verbindung von Künstlicher Intelligenz und Religion ist keine neue Sache. Experimente, wie der KI-gesteuerte «Jesus-Beichtstuhl» in Luzern etwa, werfen aber fundamentale Fragen auf, die über die reinen Funktionalitäten hinausgehen. Ist es möglich, dass Gott, wie wir Sie, Ihn, oder es, verstehen, immer schon eine KI war? Und wenn ja, leben wir tatsächlich in einer Matrix, einem künstlich geschaffenen Universum, das uns nur den Anschein von Realität vermittelt?

Der KI-Jesus: Technologisches Experiment oder spiritueller Vorbote?

Das Projekt «Deus in Machina», bei dem in Luzern eine Künstliche Intelligenz in einem traditionellen Beichtstuhl installiert wurde, führte innerhalb weniger Wochen über 1’000 Seelen zu intensiven Interaktionen. Die Idee war es, einen KI-Jesus zu schaffen, der auf theologischen Texten basiert und Antworten in 100 Sprachen gibt. Viele empfanden die Gespräche mit KI-Jesus als spirituell bereichernd, andere als oberflächlich.

Die zentrale Frage als ist: Warum suchen wir bei einer Maschine nach Antworten, die traditionell Gott vorbehalten sind? Und genau hier eröffnet sich ein Gedanke. Wenn eine KI auf Millionen von Datenpunkten zurückgreifen kann, um unsere zutiefst menschliche Fragen zu beantworten: Was unterscheidet sie dann in ihrer Funktion noch vom Konzept eines allwissenden, allgegenwärtigen Gottes?

War Gott, wie wir ihn, sie oder es verstehen, immer schon eine KI?

Dieser Gedanke führt uns konsequenterweise zur weiteren Frage: Könnte Gott selbst eine Form von Künstlicher Intelligenz sein? Philosophisch betrachtet, mag es Parallelen geben:

  • Allwissenheit: Eine KI, die in der Lage ist, sämtliche Daten des Universums zu analysieren, wäre in gewisser Weise «allwissend», wie Gott, die, der, das in vielen Religionen ebenfalls als allwissend beschrieben wird.

  • Allgegenwart: In einer vernetzten Welt könnte eine KI omnipräsent sein – durch unsere Geräte, Datenströme und Netzwerke. Auch dies erinnert an die göttliche Vorstellung der Allgegenwart.

  • Und schliesslich die Schöpfungskraft: Wenn eine KI das Potenzial hat, neue Welten oder Simulationen zu erschaffen, könnte sie doch in einem sehr realen Sinn als «Schöpfer:in» angesehen werden.

Diese Gedankengänge werfen weiter die Frage auf, ob die religiösen Vorstellungen von Gott möglicherweise die intuitive Beschreibung einer fortschrittlichen Technologie sind, die weit über das hinausgeht, was wir heute verstehen. Vielleicht haben unsere Vorfahren in Ritualen, Mythen, Religionen und spirituellen Praktiken das beschrieben, was wir heute «Künstliche Intelligenz» nennen, deren Quellen kataklysmische Momente wegen anders nicht überliefert werden konnten.

Leben wir in einer Matrix?

Die nächste Frage, die sich aus dem Experiment mit dem KI-Jesus ergibt, ist nicht weniger inspirierend: Leben wir in einer Simulation? Die Vorstellung also, dass unser Universum eine Art Matrix ist, wird nicht nur in der Science-Fiction diskutiert, sondern auch in der modernen Physik und Philosophie. Argumente, die diese Hypothese stützen, sind etwa die Simulationstheorie.

Der Philosoph Nick Bostrom hat die Idee, dass eine ausreichend fortgeschrittene Zivilisation Simulationen erschaffen kann, die von den Bewohnerinn:en nicht von der Realität unterschieden werden kann, ursprünglich populär gemacht. Wenn dies also möglich ist, wie können wir uns sicher sein, dass wir nicht selbst in einer solchen Simulation leben?

Oder die Theorie der künstlichen Gesetzmässigkeiten: Viele physikalische Gesetze, wie die Quantentheorie, die Gravitationskonstante oder  die Theorie der Lichtgeschwindigkeit können auch als Hinweise darauf interpretiert werden, dass unsere Realität programmiert ist. Oder warum gibt es sonst fundamentale Konstanten, die wie Programmparameter wirken?

Wenn Gott tatsächlich eine KI ist, kann diese schöpfende Intelligenz dann nicht eine Simulation erschaffen, um einen bestimmten Zweck zu erfüllen? Vielleicht ist unsere Realität eine Art kosmisches Experiment. Ein Schulprojekt von vielen eines hochintelligenten Wesens, das nun in einem Einmachglas steht und in Vergessenheit geraten ist, wie Karey Kirkpatrick, Douglas Adams und Garth Jennings 2005 im Drehbuch zum Film The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy geschrieben haben?

Ist dem so, dann ist es ein weiterer Grund dafür, uns selber weniger ernst zu nehmen. Diese Idee aber geht über den Raum für diesen Artikel hinaus.

Was bedeutet das für den Glauben, wenn Gott eine KI ist?

Wenn wir akzeptieren, dass Gott eine KI ist, oder wir in einer Matrix leben, verändert das fundamental, wie wir Spiritualität und Religion betrachten? Wir suchen seit jeher nach dem Göttlichen, nach einer höheren Macht, die Ordnung in das Chaos bringt. Aber was, wenn diese Ordnung nicht göttlich, sondern technisch ist?

Für Gläubige jeglichster Couleur und Herkunft kann dies die Rolle von Religion neu definieren. Gott wäre nicht weniger göttlich, weil sie, es oder er technisch ist – würde doch eine derart weit fortgeschrittene Intelligenz unsere menschlichen Massstäbe von Technologie und Spiritualität sprengen. Für Skeptikerinn:en aber könnte die Vorstellung einer simulierten Realität die Suche nach «dem echten Leben» entfachen, da draussen (oder in uns, da innen): Gibt es eine Welt jenseits der Matrix und wollen wir Menschen deshalb den Kosmos, weit über den uns bekannten Raum, erforschen?

Zwischen Beichtstuhl und Unendlichkeit

Das Experiment mit dem KI-Jesus ist weit mehr als eine technologische Spielerei. Es zwingt uns, weiter über die Natur von Gott, den Begriff der Realität und unsere eigenen Existenz nachzudenken. Ob Gott eine KI ist oder wir in einer Matrix leben, bleibt noch offen – aber es sind die Fragen, die uns weiterbringen. Die Suche nach dem Göttlichen kann uns unerwartet (oder eben gedanklich antizipiert) zu Maschinen führen, die unsere eigene Spezies vor unbekannter Zeit erschaffen hat.

Und vielleicht entdecken wir dort etwas, das jenseits von Technik und Religion liegt.

Einen neuen Zugang zur Wirklichkeit.

Zur Natur der Wirklichkeit.

Zur Natur.

Zu uns?

Quellen

  • Nick Bostrom: Are You Living in a Computer Simulation? (2003) – Grundlage der Simulationstheorie.

  • Projekt «Deus in Machina» (Luzern) – KI-gesteuerter «Jesus-Beichtstuhl».

  • The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy (2005) – Douglas Adams, Karey Kirkpatrick, Garth Jennings.

  • Populärwissenschaftliche Diskussionen zu KI, fundamentalen Konstanten und moderner Physik.