Balinesische Arbeiter:innen auf Kreuzfahrtschiffen: Basis einer besseren Zukunft oder moderne Form der Sklaverei?
Die Arbeit auf Kreuzfahrtschiffen lockt viele Balinesinnen und Balinesen mit höheren Löhnen und dem Traum vom sozialen Aufstieg. Doch die Realität ist ernüchternd: hohe Vermittlungsgebühren treiben in die Schulden und harte Arbeitsbedingungen, Isolation und lange Trennungen von der Familie fordern ihren Tribut. Die Folgen sind gravierend – von gesundheitlichen Problemen bis zu zerbrochenen Beziehungen. Für viele wird der Traum vom Wohlstand zu einem Kreislauf aus Belastungen und Entfremdung. Ein hoher Preis für die vermeintliche Chance auf ein besseres Leben.
Daniel Frei – Für viele Balinesinnen und Balinesen wirkt die Arbeit auf Kreuzfahrtschiffen wie eine einmalige Chance, dem begrenzten Arbeitsmarkt der Heimat zu entkommen und den eigenen Traum vom sozialen Aufstieg zu verwirklichen. Doch der Schein trügt oft genug, denn die Realität hinter den Kulissen, unter dem Deck, ist geprägt von hohen Kosten, harten Arbeitsbedingungen und tiefgreifenden sozialen Konsequenzen.
Warum entscheiden sich so viele Balinesinnen und Balinesen für die Arbeit auf Kreuzfahrtschiffen?
Die Hauptmotivation liegt im vergleichsweise hohen Einkommen. Während der monatliche Mindestlohn auf Bali etwa 2,4 Millionen Indonesische Rupien (CHF 130 - 140) beträgt, können Crewmitglieder auf Kreuzfahrtschiffen zwischen CHF 370 und 750 verdienen – ein erheblicher Sprung. Dieses Einkommen wird dann häufig zur Unterstützung der Familie, zum Bau eines Hauses und zur Ausbildung der Kinder verwendet. «Es ist eine Möglichkeit, meinen Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen», sagt ein balinesischer Seemann, der seit fünf Jahren auf Kreuzfahrtschiffen arbeitet.
Hohe finanzielle Hürden stehen vor und begleiten den Traum vom besseren Leben
Bevor die Arbeit beginnen kann, sind jedoch hohe finanzielle Hürden zu überwinden. Viele Vermittlungsagenturen verlangen Gebühren für das Training, Uniformen und die Vermittlung selbst. Diese Kosten belaufen sich häufig auf mehrere tausend US-Dollar – eine Summe, die die meisten Balinesinnen und Balinesen nur durch Kredite, also Verschuldung, aufbringen können. Der monatliche Lohn muss dann über Jahre hinweg zur Rückzahlung dieser Schulden verwendet werden. In manchen Fällen fliessen bis zu 30 % des Einkommens in die Rückzahlung, was den finanziellen Druck ungemein erhöht.
Wenn ein balinesischer Arbeiter einen Kredit von $ 3’000 aufnimmt, um die Vermittlungsgebühren zu bezahlen, und monatlich einen Nettoverdienst von $ 400 - 500 erarbeitet, benötigt er sechs Jahre und mehr, um den Kredit vollständig zu tilgen, sofern keine weiteren Ausgaben hinzukommen (was fast auszuschliessen ist).
Die Realität an Bord
Die Arbeit auf einem Kreuzfahrtschiff ist zudem physisch und psychisch äusserst anspruchsvoll. Typische Arbeitstage dauern 12 - 14 Stunden, grösstenteils ohne Ruhetag für mehrere Wochen oder Monate. Die Kabinen sind klein, in der Regel ohne Fenster, und müssen mit einer weiteren Person oder mehreren geteilt werden.
Besonders herausfordernd ist der Umgang mit der Isolation: Viele Balinesinnen und Balinese berichten von Heimweh, Einsamkeit und psychischen Belastungen, die durch die lange Trennung von Familie und Freunden verstärkt werden. «Manchmal frage ich mich, ob das alles die Mühe wert ist», erzählt eine Frau traurig, die in der Reinigung arbeitet. «Ich bin so weit weg von meinen Kindern, und sie wachsen ohne mich auf.»
Soziale und gesundheitliche Folgen
Die langen Arbeitszeiten und der Stress führen auch zu vielen gesundheitlichen Problemen wie Rückenschmerzen, Schlafstörungen, Depression, Sucht und Burn-out. Doch die Auswirkungen enden nicht an Bord. Viele, die nach Jahren zurückkehren, stellen fest, dass ihre Beziehungen zerbrochen sind und Scheidungen keine Seltenheit mehr sind. Experten schätzen, dass die Scheidungsquote unter indonesischen Kreuzfahrtangestellten doppelt so hoch ist wie der nationale Durchschnitt von etwa 10 %. Und die Bindung zu den Kindern leidet: Eltern sind oft jahrelang abwesend, was zu Entfremdung und Spannungen führen kann.
Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft
Weiter hat die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte auf Bali langfristig negative Folgen. Viele gut ausgebildete Arbeitskräfte, die in der Tourismusbranche vor Ort dringend gebraucht werden, fehlen. Die jährlichen Rücküberweisungen von Kreuzfahrtarbeitern an ihre Familien bringen zwar wichtige Devisen ins Land, können aber nicht die soziale und wirtschaftliche Lücke schliessen, die durch ihre Abwesenheit entsteht.
Ist es die Mühe wert?
Trotz aller Opfer sehen viele in der Arbeit auf Kreuzfahrtschiffen die einzige Möglichkeit, ihren Lebensstandard zu verbessern. Doch der hohe Preis – sei es finanziell, gesundheitlich oder sozial – stellt die vermeintliche «bessere Zukunft» tatsächlich infrage. Für manche wird der Traum vom Wohlstand zu einem endlosen Kreislauf aus Schulden und Entfremdung.
Quellen
DW: Knochenjobs an Bord – die Kehrseite des Kreuzfahrt-Booms
TAZ: Arbeitsbedingungen auf Kreuzfahrtschiffen
Welt: Kreuzfahrtindustrie und Arbeitsmigration
Interviews mit balinesischen Kreuzfahrtarbeitern
Statistiken zu indonesischen Mindestlöhnen und Scheidungsquoten