Warum das wahre Glück nicht individuell ist: Gemeinschaft als höchstes Gut
Glück ist nicht das Ergebnis von Selbstoptimierung oder materiellem Erfolg – es entsteht im Miteinander. Jahrzehntelange Forschung zeigt: Soziale Bindungen sind der wichtigste Faktor für unser Wohlbefinden, unsere Gesundheit und sogar unsere Lebenserwartung. Aber in einer Welt, die Individualismus und Unabhängigkeit glorifiziert, drohen genau diese Bindungen zu zerbrechen. Warum Gemeinschaft kein Luxus, sondern eine existenzielle Notwendigkeit ist – und was Politik, Wirtschaft und wir selbst machen können, um sie wieder zu stärken. Denn: Glück ist kein Solo-Projekt.
Daniel Frei – Glück ist kein Solo-Projekt. Es entsteht nicht im Besitz, nicht im Status, nicht einmal in der vollkommenen Selbstgenügsamkeit – sondern im Miteinander. Ray Dalio bringt es auf den Punkt: «The highest determinant of happiness is community.» Wer wirklich glücklich sein will, braucht Gemeinschaft. Doch genau diese wird zunehmend schwächer. Der Individualismus, einst ein Versprechen auf Freiheit, hat sich in vielerlei Hinsicht als trojanisches Pferd entpuppt. Er hat uns nicht nur autonomer gemacht, sondern auch einsamer.
Soziale Bindungen sind der stärkste Faktor für Wohlbefinden, Gesundheit und Zufriedenheit
Die längste Glücksstudie der Welt, die Harvard Study of Adult Development, kommt zu einem klaren Ergebnis: Die Qualität unserer Beziehungen bestimmt unser Glück und unsere Lebensdauer stärker als Einkommen, Erfolg oder gar Gene. Menschen mit starken sozialen Verbindungen sind nicht nur glücklicher, sondern auch körperlich und geistig gesünder. Einsamkeit hingegen hat dieselben negativen Auswirkungen auf die Lebenserwartung wie das Rauchen von 15 Zigaretten pro Tag. Die Wissenschaft ist sich längst einig: Soziale Bindungen sind der stärkste Faktor für Wohlbefinden, Gesundheit und Zufriedenheit. Und doch leben wir in einer Gesellschaft, die Gemeinschaft immer weiter untergräbt.
Die Illusion des individuellen Glücks
Die moderne Welt feiert das Individuum. Selbstverwirklichung ist das Ziel, Eigenständigkeit die Tugend, Unabhängigkeit die höchste Errungenschaft. Wir sollen uns selbst genug sein, unser eigenes Glück erschaffen, uns von niemandem abhängig machen. Doch genau hier liegt das Paradox: Je mehr wir uns von anderen lösen, desto grösser wird die innere Leere. Laut einer Studie der American Psychological Association (APA) ist die Einsamkeit in den letzten Jahrzehnten dramatisch gestiegen. Besonders betroffen sind junge Erwachsene und ältere Menschen. Soziale Netzwerke ersetzen keine echten sozialen Kontakte, digitale Kommunikation ersetzt keine echte Nähe. Menschen können tausende virtuelle «Freunde» haben und sich dennoch zutiefst isoliert fühlen. Einsamkeit ist nicht nur ein emotionales Problem. Sie hat massive gesundheitliche Folgen. Eine Metaanalyse der Brigham Young University ergab, dass soziale Isolation das Sterberisiko um 50 % erhöht. Das ist ein grösserer Risikofaktor als Fettleibigkeit oder mangelnde Bewegung. Und doch tun wir so, als wäre Glück eine Frage der Selbstoptimierung. Der perfekte Körper, die perfekte Karriere, die perfekte Work-Life-Balance. Doch wenn wir all das erreicht haben, bleibt eine Frage: Mit wem teilen wir es?
Warum Gemeinschaft glücklich macht
Glück ist mehr als nur ein innerer Zustand – es ist ein Netz aus Verbindungen. Wer ein starkes soziales Umfeld hat, erfährt Unterstützung in Krisen. Studien zeigen, dass Menschen mit engen Freundschaften stressresistenter sind. Körperlich zeigt sich das in einem niedrigeren Cortisolspiegel. Wer sich in eine Gemeinschaft eingebunden fühlt, empfindet sein Leben als sinnvoll. Eine Studie der Universität Oxford belegt, dass Menschen, die sich in Gruppen oder Vereinen engagieren, langfristig glücklicher sind als jene, die sich ausschliesslich auf persönliche Ziele konzentrieren. Wer Beziehungen pflegt, gibt und empfängt Resonanz – und genau das ist es, was uns Menschen zutiefst erfüllt. Neurobiologen fanden heraus, dass soziale Interaktion die Ausschüttung von Oxytocin fördert – dem Hormon, das für Bindung und Vertrauen verantwortlich ist. Der Mensch ist nicht für die Einsamkeit gemacht. Jeder Dialog, jede Berührung, jedes gemeinsame Erlebnis bestätigen unsere Existenz. Glück ist kein Monolog. Es ist ein Echo.
Reichtum ohne Gemeinschaft ist Armut
Ray Dalio, selbst einer der weltweit erfolgreichsten Investoren, weiss, dass materieller Wohlstand nicht ausreicht. Geld kann Sicherheit schaffen, Freiheit ermöglichen, Erlebnisse finanzieren – aber es kann keine echte Gemeinschaft kaufen. Die Einsamkeitskrise ist nicht nur ein individuelles Problem. Sie ist eine gesellschaftliche Herausforderung. In Grossbritannien gibt es mittlerweile ein eigenes Ministerium für Einsamkeit. Japan experimentiert mit Begegnungsräumen für ältere Menschen, um soziale Isolation zu bekämpfen. Andere Länder haben erkannt, dass Einsamkeit nicht nur das Leben der Betroffenen verkürzt, sondern auch immense Gesundheitskosten verursacht.
Was jetzt getan werden muss
Wenn Gemeinschaft der grösste Faktor für Glück ist, dann muss ihr Wiederaufbau oberste Priorität haben. Es reicht nicht, den Menschen zu sagen, sie sollen sich mehr um Freundschaften bemühen. Wir brauchen Strukturen, die die Gemeinschaft fördern, statt sie zu verhindern.
Was können Politiker:innen tun:
Mehr öffentliche Räume schaffen, die echte Begegnungen ermöglichen: In vielen Städten gibt es immer weniger Orte, an denen Menschen sich treffen können, ohne konsumieren zu müssen. Parks, Bibliotheken und Gemeinschaftszentren müssen gestärkt werden.
Vereine und ehrenamtliches Engagement fördern: Studien zeigen, dass Menschen, die sich freiwillig engagieren, nicht nur glücklicher, sondern auch gesünder sind.
Arbeitszeiten und Mobilität so gestalten, dass Menschen Zeit für soziale Bindungen haben: Wer ständig umzieht oder Überstunden macht, verliert leicht den Anschluss.
Und was wir selbst?
Freundschaften aktiv pflegen. Glück ist eine Investition – nicht ins Konto, sondern in Beziehungen.
Sich in Gruppen oder Initiativen engagieren. Ob Sportverein, Nachbarschaftshilfe oder Hobbytreff – geteilte Interessen verbinden.
Digitale Kontakte nicht mit echten Begegnungen verwechseln. Likes sind kein Ersatz für Nähe.
Glück ist kein Solo-Projekt
Die grösste Lüge des modernen Individualismus ist, dass wir uns selbst genügen können. Doch wahres Glück braucht etwas, das grösser ist als das eigene Ich: Gemeinschaft. Kein Erfolg, kein Besitz, kein noch so selbstgenügsames Leben können das ersetzen. Wir müssen umdenken. Politik muss soziale Strukturen fördern, statt sie zu zerstören. Unternehmen müssen anerkennen, dass Mitarbeitende nicht nur Maschinen, sondern soziale Wesen sind. Und wir als Einzelne können uns fragen: Wann habe ich das letzte Mal wirklich Zeit in meine Gemeinschaft investiert? Um es mit Ray Dalio zu sagen: «The highest determinant of happiness is community.»