Was ist CPTSD und wie unterscheidet es sich von PTSD?
Komplexe posttraumatische Belastungsstörung (CPTSD) und posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) – beides sind Reaktionen auf Trauma, ihre Ursachen und Auswirkungen aber unterscheiden sich grundlegend. Während PTSD meist auf ein einzelnes, belastendes Erlebnis zurückzuführen ist, entwickelt sich CPTSD primär durch lang anhaltende, wiederholte traumatische Erfahrungen, die tief in die Psyche eingreifen. Menschen mit CPTSD erleben nicht nur Flashbacks und Albträume, sondern oft auch ein zerrüttetes Selbstbild und Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen.
Daniel Frei – Während die posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) mittlerweile weitläufig bekannt ist, wird die komplexe posttraumatische Belastungsstörung (CPTSD) oft übersehen. Dabei ist es entscheidend, diese beiden Formen von Trauma zu unterscheiden, um Betroffenen gezielt helfen zu können.
Was ist PTSD?
Die posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) ist eine psychische Erkrankung, die oft durch ein einzelnes, schweres Trauma ausgelöst wird – wie, und nicht abschliessend, einen Unfall, eine Naturkatastrophe, einen gewaltsamen Überfall, einen Missbrauch oder eine Kriegs- oder Fluchterfahrung. Nach einem solchen einschneidenden Erlebnis können Symptome wie intensive Flashbacks, Albträume und das ständige Gefühl, in Gefahr zu sein, auftreten. Menschen mit PTSD fühlen sich häufig überwältigt von ihren Erinnerungen und erleben Momente, in denen das Trauma für sie erneut lebendig wird.
Gemäss der Weltgesundheitsorganisation WHO ist PTSD mit Symptomen verbunden, die das normale Leben erheblich beeinträchtigen können. Die Erkrankung führt oft zu einem Gefühl der Entfremdung und des Unverständnisses durch das Umfeld. «Es ist, als würde man immer wieder in den Moment zurückgezogen, in dem das Trauma passiert ist», beschreiben Betroffene die Erfahrung.
Wie entsteht CPTSD, und worin liegt der Unterschied zu PTSD?
Die komplexe posttraumatische Belastungsstörung (CPTSD) unterscheidet sich grundlegend von PTSD, denn sie entwickelt sich meist nicht durch ein einzelnes Ereignis, sondern durch anhaltende, traumatische Erfahrungen über einen längeren Zeitraum. Dazu zählen, auch dies nicht abschliessend, gesellschaftliche Ächtung, Missbrauch und Vernachlässigung in der Kindheit, häusliche Gewalt, Flucht, Menschenhandel und andere Formen dauerhafter Unterdrückung und Ohnmacht.
Während PTSD häufig auf ein klar definierbares Ereignis zurückzuführen ist, entsteht CPTSD eher in der Kindheit oder Jugend, wenn Menschen über längere Zeiträume Missbrauch oder Vernachlässigung erfahren. Diese Form des Traumas beeinflusst die Psyche, das Selbstbild und die zwischenmenschlichen Beziehungen der Betroffenen in häufig noch stärkerem Ausmass als ein einzelnes Trauma. CPTSD entwickelt sich, wenn jemand wiederholt und über lange Zeit in als bedrohlich wahrgenommenen Situationen lebt, in denen es kaum oder keine Möglichkeiten zur Flucht gibt.
Die Symptome: Mehr als nur Flashbacks und Albträume
Menschen mit CPTSD erleben viele der Symptome, die auch bei PTSD auftreten – darunter Flashbacks, Vermeidung bestimmter Situationen und hohe Wachsamkeit. Doch bei CPTSD kommen häufig weitere Symptome hinzu, die das gesamte Selbstbild und das Leben der Betroffenen nachhaltig beeinflussen. «Man fühlt sich oft, als ob man von einem ungreifbaren Schatten verfolgt wird, der das Leben dominiert», erklären Betroffene.
Charakteristisch für CPTSD sind tiefe Gefühle der Scham und Schuld, chronische Gefühle der Leere und Traurigkeit, und Schwierigkeiten, sich selbst zu verstehen. Betroffene können das Gefühl haben, innerlich verletzt oder «fehlerhaft» zu sein. Auch das Vertrauen in andere Menschen und die Fähigkeit, Nähe zuzulassen, sind häufig stark beeinträchtigt.
CPTSD kann dazu führen, dass Betroffene Schwierigkeiten haben, stabile Beziehungen aufzubauen und soziale Isolation erleben. Die Psychiaterin Dr. Judith Herman beschreibt CPTSD als eine «Verletzung des innersten Kerns» und betont, dass es dabei nicht nur um das Trauma selbst, sondern um die Veränderung des gesamten Selbstbildes geht.
Warum die Unterscheidung zwischen PTSD und CPTSD wichtig ist
Die Unterscheidung zwischen PTSD und CPTSD ist in vielerlei Hinsicht bedeutend. Menschen mit PTSD können durch bestimmte therapeutische Methoden, wie EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing), oft schnelle Linderung finden. Die Symptome sind klarer umschrieben und oft auf das spezifische Trauma zurückzuführen.
CPTSD hingegen erfordert meist eine tiefere, ganzheitliche Therapie. Das Trauma ist in diesen Fällen tiefer verwurzelt und betrifft nicht nur spezifische Erinnerungen, sondern auch die Persönlichkeit und das Selbstbild der Betroffenen. Die Therapie muss daher umfassender und lang anhaltender sein und setzt auf Methoden, die helfen, die Identität und Selbstwahrnehmung zu stärken.
Betroffene beschreiben diesen Unterschied folgendermassen: «PTSD fühlt sich an wie eine Narbe, die immer wieder aufgerissen wird. CPTSD hingegen ist wie ein nie heilender, innerer Schmerz, der jeden Lebensbereich durchdringt.»
Die Diagnosestellung ist wichtig, um die richtige Unterstützung zu finden und sich selbst besser zu verstehen. Laut Expertinn:en ist es entscheidend, dass CPTSD als eigenständige Diagnose anerkannt wird, um spezifischere Therapieansätze zu ermöglichen und Missverständnisse zu vermeiden.
Hoffnung für Menschen mit CPTSD
Trotz der tiefgehenden Wunden, die CPTSD hinterlässt, ist Heilung möglich. Der erste Schritt liegt im Verständnis der Erkrankung und der Akzeptanz, dass das Erlebte das eigene Leben beeinflusst. «Wer lernt, sich mit den eigenen Erlebnissen auseinanderzusetzen und sich selbst dabei zu verstehen, kann einen Weg in ein erfülltes Leben finden», betont Dr. Bessel van der Kolk, ein führender Experte auf dem Gebiet der Traumaforschung.
Für Menschen mit CPTSD gibt es spezifische Therapien und Ansätze, die helfen, innere Stabilität aufzubauen und das Selbstbild zu heilen. Dies erfordert Geduld und Unterstützung, doch es ist möglich, auch mit komplexen Traumata ein Leben voller Hoffnung und Frieden zu führen.
Quellen
Herman, J. (1992). Trauma and Recovery: The Aftermath of Violence–From Domestic Abuse to Political Terror.
Van der Kolk, B. (2014). The Body Keeps the Score: Brain, Mind, and Body in the Healing of Trauma.
World Health Organization (WHO): International Classification of Diseases (ICD-11).