«Alle haben einen Plan – bis sie eins in die Fresse bekommen»: Über Kontrollverlust, Realitätsschocks und die Kunst, nicht unterzugehen
Ein Satz wie sein rechter Haken. Und einer, der hängenbleibt – weil er nicht nur von Mike Tyson kommt, sondern von der Realität selbst. Was wie eine Boxweisheit klingt, ist in Wahrheit eine radikale Infragestellung unseres Weltbilds: Was, wenn Planung nur eine Illusion ist? Was, wenn das Leben nicht nach Excel-Logik funktioniert, sondern nach der rauen Dramaturgie eines Boxkampfs? Dieser Text erzählt von der Wucht des Ungeplanten – und davon, was bleibt, wenn der erste Schlag alles weghaut, worauf wir gebaut haben: Kontrolle, Sicherheit, Strategie. Es ist eine Einladung, Pläne zu lieben und nicht an ihnen zu kleben. Und im Ernstfall mit blutender Lippe weiterzumachen. Nicht perfekt. Aber wach.
Daniel Frei - Ein Satz treffend wie sein rechter Haken: «Everybody has a plan until they get punched in the face.» Mike Tyson hat ihn gesagt – und man glaubt ihm. Nicht nur, weil sein Gesicht und seine Karriere von unzähligen Treffern erzählen. Sondern weil dieser Satz ein ganzes Weltbild zerlegt: jenes der Planung, der Kontrolle, der rationalen Vorbereitung. Er stellt die naive Annahme infrage, man könne das Leben beherrschen wie eine Excel-Tabelle. Und ersetzt sie mit einer brutalen Wahrheit: Der erste Kontakt mit der Realität ist meist ein Faustschlag.
Das Sicherheitsversprechen
Wir lieben Pläne. Sie geben Halt. Struktur. Sie suggerieren, wir wüssten, was kommt – und wie wir darauf reagieren werden. Wir bauen sie wie Luftschlösser: strategische Pläne, Karrierepläne, Ernährungspläne, Lebenspläne. Und manchmal, wenn wir ganz aufgeräumt sind, sogar Fünfjahrespläne. Als wären wir ein sowjetischer Agrarminister und nicht das nervöse Säugetier auf einem chaotischen Planeten das wir sind.
Aber das Leben ist eben kein Koordinatensystem. Eher ein Boxring. Und während wir noch die perfekten Abläufe durchdenken, steht uns schon ein Problem gegenüber, das nicht rational verhandelt werden will – sondern schlicht zuschlägt.
Der Moment nach dem Aufprall
Was passiert nach dem Schlag ins Gesicht? Man verliert kurz die Orientierung. Man stolpert, manchmal fällt man. Der Mund schmeckt metallisch, der Blick wird eng. Der Plan? Ist weg. Vergessen. Oder schlimmer: absurd.
Hier beginnt der eigentliche Test. Nicht der für unseren Plan – sondern für uns. Unsere Resilienz. Unsere Fähigkeit, in der Panik nicht zu kapitulieren, sondern zu improvisieren. Der Moment nach dem Schlag ist der Moment, in dem sich entscheidet, ob wir Boxer oder Zuschauer mit Handschuhen sind.
Flexibilität schlägt Strategie
Der Philosoph Epiktet – der Mike Tyson der Stoiker – hätte genickt. Auch er war überzeugt: Nicht das Ereignis selbst sei das Problem, sondern unsere Vorstellung davon. Wer denkt, er könne alles kontrollieren, erlebt jeden Schlag als Katastrophe. Wer aber weiss, dass der Kampf dazugehört, bleibt beweglich.
Ein guter Plan ist nichts ohne die Fähigkeit, ihn loszulassen. Und weiterzumachen. Mit blutender Lippe und offenen Augen.
Die Schönheit des Kontrollverlusts
Das Paradoxe: Gerade dort, wo unser Plan endet, beginnt oft etwas Echtes. Wer einmal richtig getroffen wurde – im Beruf, in der Liebe, im Leben – weiss: Schmerz klärt. Er zeigt, was Bestand hat. Welche Beziehungen tragfähig sind. Welche Überzeugungen nicht bloss Dekoration waren. Und wer wir wirklich sind, wenn niemand mehr klatscht.
Es ist nicht schön, getroffen zu werden. Aber ehrlich. Und manchmal, wenn man den Schmerz nicht nur abwehrt, sondern annimmt, wird daraus sogar etwas Neues. Kein Plan vielleicht. Aber eine Haltung. Eine Tiefe. Und eine Form von Reife, die man in keiner Strategie-Session findet.
Schlussrunde
Vielleicht ist das Leben nicht dazu da, geplant zu werden. Sondern erfahren. Vielleicht sind Pläne wie Schattenboxen: gut fürs Training, aber nutzlos im echten Kampf. Vielleicht geht es weniger darum, niemals getroffen zu werden – als darum, immer wieder aufzustehen. Und den Schlag nicht als Ende zu sehen. Sondern als Anfang.
Und vielleicht – nur vielleicht – ist genau das die wahre Stärke. Nicht der perfekte Plan. Sondern der Mut, ohne Plan weiterzumachen.
Mit blutender Lippe. Und einem Lächeln.