«Meine Türe ist immer offen»: ein kritischer Blick auf eine gängige Führungsaussage

In vielen Unternehmen ist die Aussage «Meine Türe ist immer offen» ein gängiger Satz der Führungskräfte ihren Mitarbeiter:innen gegenüber. Dies soll Offenheit und Erreichbarkeit signalisieren. Bei mir weckt diese Phrase jedoch Misstrauen und Skepsis. Warum ist das so? In diesem Text betrachte ich die Aussage kritisch und untersuche, was dahintersteckt.

«Meine Türe ist immer offen». Fotografie: Daniel Frei

«Meine Türe ist immer offen». Fotografie: Daniel Frei

Daniel Frei – Die Absicht hinter «Meine Türe ist immer offen» scheint auf den ersten Blick lobenswert. Führungskräfte wollen damit zum Ausdruck bringen, dass sie für ihre Mitarbeiter:innen da sind und sich um deren Anliegen kümmern. Es soll eine Kultur der Offenheit und Transparenz gefördert werden, in der sich jeder traut, Probleme und Ideen anzusprechen.

Über die Problematik des Wortes «immer»

Aber bereits das Wort «immer» birgt eine komplexe Problematik, da es eine Absolutheit suggeriert, die in der realen Welt kaum zutrifft. Wenn wir sagen, dass etwas «immer» geschieht, ignorieren wir die natürliche Variabilität und Unvorhersehbarkeit des Lebens. Ironischerweise führt die Verwendung von «immer» oft zu einer Situation, in der «immer» tatsächlich «nie» ist, da es kaum Situationen gibt, die ohne Ausnahme beständig sind. In ähnlicher Weise kann «nie» in manchen Kontexten zu einem «immer» werden, besonders wenn es als starre Ablehnung verwendet wird, die keine Flexibilität oder Veränderung zulässt. Dieser scheinbare Widerspruch spiegelt die menschliche Neigung wider, in Absoluten zu denken, was uns davon abhält, die Welt in ihrer vollen Komplexität und ihren Schattierungen zu erkennen. Daher enthält «immer» eine implizite Herausforderung, unsere Aussagen zu hinterfragen und ein tieferes Verständnis für die Dynamik und Relativität unserer Erfahrungen zu entwickeln.

Die Kehrseite der Offenheit

Trotz guter Absichten kann auch der ganze Satz negative Assoziationen hervorrufen. Mitarbeiter:innen könnten sie als unaufrichtig und als Floskel empfinden, besonders wenn die Taten der Führungskraft nicht mit ihren Worten übereinstimmen. Eine offene Tür bedeutet nicht automatisch eine offene Kommunikation, eine offene Einstellung oder die wirklich störungsfreie Zuwendung, wenn die Idee dann umgesetzt wird. Wenn Mitarbeiter:innen beobachten, dass trotz der vermeintlichen Offenheit ihre Anliegen nicht ernst genommen oder ignoriert werden, führt dies zu Misstrauen und Resignation (siehe auch die Artikel zum Thema Offene Kommunikation).

Die Herausforderung der Umsetzung

Ein weiterer kritischer Punkt ist die tatsächliche Umsetzung der offenen Tür-Politik. In der Praxis kann es schwierig sein, ständig für Mitarbeiter:innen verfügbar zu sein. Führungskräfte haben oft einen vollen Terminkalender und eine ständig offene Tür führt gezwungenermassen zu ständigen Unterbrechungen, die die Produktivität beeinträchtigen. Zudem fühlen sich manche Mitarbeiter:innen durch die Aussage unter Druck gesetzt, ihre Anliegen vorbringen zu müssen, auch wenn sie nicht bereit sind oder es nicht der richtige Zeitpunkt ist.

Psychologische Aspekte

Psychologisch betrachtet kann «Meine Türe ist immer offen» auch eine Barriere aufbauen, statt sie abzubauen. Einige Mitarbeiter:innen könnten sich durch diese Aussage eingeschüchtert fühlen, da sie den Druck verspüren, ihre Probleme direkt mit der Führungskraft besprechen zu müssen. Zudem kann die Phrase eine ungewollte Hierarchie betonen: Die Tatsache, dass es einer speziellen Einladung bedarf, um mit der Führungskraft zu sprechen, kann Distanz schaffen.

Fazit und Alternativen

Obwohl die Absicht hinter der Aussage «Meine Türe ist immer offen» positiv sein kann, zeigt die Praxis, dass sie nicht immer die gewünschten Ergebnisse erzielt. Es bedarf mehr als einer offenen Tür, um eine Kultur der Offenheit und des Vertrauens zu etablieren. Führungskräfte sollten ihre Verfügbarkeit durch Taten unter Beweis stellen und sicherstellen, dass sie tatsächlich zugänglich und ansprechbar sind, ohne dass dies zulasten ihrer oder der Produktivität der Mitarbeiter:innen geht. Alternativ könnten regelmässige, geplante Meetings mit dem Team oder offene Sprechstunden eine effektivere Methode sein, um sicherzustellen, dass Mitarbeiter:innen sich gehört fühlen. Wichtig ist, dass die Kommunikation beidseitig ist und Mitarbeiter:innen sich sicher fühlen, ihre Anliegen jederzeit anzusprechen – nicht nur, wenn die Tür offen ist.