Warum wir nicht leichtfertig mit dem Begriff «Nazi» umgehen dürfen, aber sehr wohl von Faschismus sprechen können

Die Begriffe «Nazi» und «Faschist:in» werden im heutigen politischen Diskurs oft synonym verwendet, was sowohl historisch als auch moralisch problematisch ist. Während «Faschismus» eine weltweit verbreitete Ideologie beschreibt, die in verschiedenen Formen bis heute existiert, ist der Begriff «Nazi» untrennbar mit dem deutschen Nationalsozialismus und seinen Verbrechen, insbesondere dem Holocaust, verbunden. Mit dem leichtfertigen Gebrauch dieser Begriffe laufen wir Gefahr, das Leid der Opfer zu relativieren und die historische Bedeutung zu verwässern. Eine differenzierte und respektvolle Verwendung dieser Begriffe ist daher von entscheidender Bedeutung für den öffentlichen Diskurs.

Die Begriffe «Nazi» und «Faschist:in» werden im heutigen politischen Diskurs oft synonym verwendet, was sowohl historisch als auch moralisch problematisch ist. Künstler:in: unbekannt – Fotografie: Daniel Frei

Daniel Frei – Die Begriffe «Nazi» und «Faschist:in» werden im heutigen Diskurs oft synonym verwendet, insbesondere in der politischen Auseinandersetzung. Diese Gleichsetzung aber ist sowohl historisch als auch moralisch problematisch. Während «Faschismus» eine politische Ideologie und ein weltweites Phänomen beschreibt, das sich bis in die Gegenwart in verschiedenen Formen manifestiert, ist der Begriff «Nazi» untrennbar mit dem deutschen Nationalsozialismus und seinen Verbrechen, speziell dem Holocaust, verbunden. Millionen von Menschen wurden Opfer dieses menschenverachtenden Terrors. Daher sollen, müssen wir diesen Begriff mit äusserster Vorsicht und grösstem Respekt verwenden, sonst riskieren wir, die Schicksale der Opfer zu trivialisieren und die Gräueltaten des Nationalsozialismus zu relativieren.

Die historische Bedeutung des Begriffs «Nazi»

Der Begriff «Nazi» ist eine Abkürzung für «Nationalsozialist» und bezieht sich spezifisch auf die Mitglieder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), die im Januar 1919 von Anton Drexler, Karl Harrer und 22 weitere Anwesende gegründet wurde und deren Vorsitz Adolf Hitler 1921 übernahm und bis zum Kriegsende 1945 innehielt.

Die Ideologie des Nationalsozialismus war geprägt von einer radikalen rassistischen Weltanschauung, die auf der Überlegenheit einer sogenannten «arischen Rasse» beruhte. Dies führte schliesslich zu den Schrecken des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts, bei dem sechs Millionen Jüdinnen und Juden und Millionen anderer unschuldiger Menschen systematisch verfolgt und ermordet wurden.

Der Begriff «Nazi» ist also nicht einzig eine Beschreibung einer politischen Bewegung, sondern eng mit den Verbrechen gegen die Menschlichkeit verbunden, die im Namen dieser Bewegung begangen wurden. Angesichts dessen ist es moralisch bedenklich, ihn heute leichtfertig zu verwenden. Menschen, die unserer Tage als «Nazis» bezeichnet werden, haben oft nicht die gleiche ideologische und kriminelle Verantwortung wie die Mitglieder der NSDAP.

Der historische Kontext des Faschismus

Der Faschismus seinerseits ist eine Eigenbezeichnung und politische Ideologie, die sich in den 1920er Jahren in Italien unter der Führung von Benito Mussolini entwickelte. Während der italienische Faschismus ebenfalls auf autoritären, nationalistischen und antidemokratischen Prinzipien beruhte, war er nicht identisch mit dem Nationalsozialismus.

Im Gegensatz zu den expliziten rassistischen Ideologien des Nationalsozialismus war der italienische Faschismus erst weniger auf biologische Rassentheorien fokussiert. Aber in späteren Jahren, unter Mussolinis Bündnis mit Hitler, wurden antisemitische Gesetze erlassen (Mussolini führte ab 1938 mit den «Rassengesetzen» antisemitische Massnahmen ein), was die italienische Ideologie näher an die nationalsozialistische heranrückte.

Der Faschismus breitete sich in der Zwischenkriegszeit in mehreren Ländern aus, darunter Spanien unter Franco und in bestimmten politischen Bewegungen in Osteuropa und Lateinamerika. Obwohl der Faschismus viele Gemeinsamkeiten mit dem Nationalsozialismus aufwies – wie Führerkult, Militarismus und die Bekämpfung des Kommunismus – war er ein breiteres, globales Phänomen.

Aus diesem Grund kann der Begriff «Faschismus» verwendet werden, um autoritäre und nationalistische Bewegungen zu beschreiben, die heute existieren, auch wenn sie nicht die gleichen spezifischen Verbrechen begangen haben wie die Nazis.

Die moralische Verantwortung, den Begriff «Nazi» zu differenzieren

Das Wort «Nazi» ruft bei den meisten Menschen sofort Bilder des Holocausts, der Konzentrationslager und des beispiellosen Leids der Opfer hervor. Die Verwendung dieses Begriffs sollte daher mit grösstem Respekt gegenüber den Überlebenden und Opfern des Nationalsozialismus erfolgen. Indem man heutige politische Gegner oder extreme Bewegungen als «Nazis» bezeichnet, verwässert man die historische Bedeutung dieses Begriffs und vermindert das einzigartige Leid derer, die unter dem Nazi-Regime gelitten haben.

Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass viele der Opfer des Nationalsozialismus noch leben oder ihre Nachkommen direkt von den Verbrechen des Dritten Reiches betroffen sind. Indem wir den Begriff «Nazi» leichtfertig verwenden, riskieren wir, ihre Schicksale zu trivialisieren und die Gräueltaten des Nationalsozialismus zu relativieren.

Faschismus als anhaltendes politisches Phänomen

Im Gegensatz dazu ist «Faschismus» ein politisches Programm, das sich nicht auf eine spezifische historische Bewegung oder ein spezifisches Verbrechen beschränkt. Faschistische Bewegungen existieren nach wie vor in verschiedenen Teilen der Welt, und ihre Ideologien basieren auf vielen der gleichen Prinzipien, die im frühen 20. Jahrhundert formuliert wurden: autoritäre Herrschaft, Nationalismus, Militarismus und die Ablehnung demokratischer Prinzipien. Daher ist es gerechtfertigt, den Begriff «Faschismus» zu verwenden, um bestimmte politische Bewegungen oder Regierungen zu beschreiben, die ähnliche Ziele verfolgen.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass jede faschistische Bewegung zwangsläufig dieselben Verbrechen begehen wird wie das NS-Regime. Die Verwendung des Begriffs «Faschist:in» sollte also auf der Grundlage der Ideologie und des Verhaltens einer Bewegung erfolgen und nicht leichtfertig oder als Beleidigung gebraucht werden.

Präzise Begriffe für eine differenzierte Debatte

Die Unterscheidung zwischen «Nazi» und «Faschist:in» ist nicht nur eine Frage der historischen Genauigkeit, sondern auch der moralischen Verantwortung. Während «Nazis» spezifisch auf die Mitglieder des NS-Regimes und deren Verbrechen verweist, beschreibt «Faschismus» eine breitere politische Ideologie, die sich in verschiedenen historischen und geografischen Kontexten manifestiert hat und noch immer präsent ist.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir im öffentlichen Diskurs präzise und respektvoll mit diesen Begriffen umgehen. Wenn wir aktuelle politische Bewegungen und Akteurinnen und Akteure also als «Faschist:innen» bezeichnen, sollten wir dies auf Grundlage ihrer Ideologie und ihres Verhaltens tun, während wir gleichzeitig den einzigartigen Schrecken des Nationalsozialismus nicht trivialisieren, indem wir den Begriff «Nazi» zu ungenau verwenden.

Nur durch eine differenzierte und respektvolle Sprache können wir sicherstellen, dass wir die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus wahren und gleichzeitig die politischen Bedrohungen, die der Faschismus auch heute noch darstellt, ernst nehmen.

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