Weniger Heldinn:en, bitte
Ein Naturgesetz? Menschliche Schwäche? Der Ruf nach Heldinn:en scheint, je komplexer, unsicherer und globaler die Herausforderungen werden, je lauter zu werden. Doch ist diese Sehnsucht nach heroischen Einzelfiguren, die Probleme lösen und Führung übernehmen, wirklich die Antwort auf die heutigen Probleme? In diesem Text argumentiere ich, dass wir tatsächlich weniger Heldinnen und Helden benötigen und biete eine entmystifizierte Alternative an, die besser zu unserer vernetzten und interdependenten Welt passt.
Daniel Frei – In unserer Gesellschaft wird das Bild der heroischen, des heroischen Einzelnen oft glorifiziert. Dieses Ideal findet sich in Märchen, Legenden, Mythen, Geschichten und Filmen, die wir von Kindheit an konsumieren, und prägt unsere Vorstellungen von Führung und Erfolg. Die Faszination für heldenhafte Einzelkämpfer:innen, allen Widrigkeiten ankämpfend und triumphierend, ist tief in unserem kulturellen Bewusstsein verankert.
Doch während diese Heldenfiguren in der Fiktion bewundert werden, ist es an der Zeit, die Realität und die Konsequenzen dieses Heldenkults in der realen Welt zu hinterfragen. Die Idealisierung von Heldinn:en führt zu problematischen Führungsstilen, in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die unrealistische Erwartungen schaffen und letztlich zu Enttäuschungen, Misserfolgen und Katastrophen führen. In diesem Text untersuche ich die Schattenseiten des Heldenkults und argumentieren für eine neue Perspektive auf Führung und Erfolg, die jenseits der traditionellen Heldenerzählung liegt (siehe auch Carl Gustav Jungs Archetypen: Eine kurze Übersicht über das Modell).
Die Gefahren narzisstischer Führung
Der Glaube an den heroischen Einzelnen an der Spitze ist tief verwurzelt. Dieser Glaube birgt jedoch signifikante Risiken. Narzisstische Führung, grob gekennzeichnet durch Selbstverherrlichung, Machthunger und mangelnde Empathie, ist eine direkte Folge des Heldenkults in der Führung. Studien zeigen, dass narzisstische Führungsstile zu einer Reihe von Problemen führen können, darunter toxische Arbeitsumgebungen, ethische Verfehlungen und schlechte Entscheidungsfindung. Der narzisstische Führungsstil ist ein perfektes Beispiel für die Maxime «Abuse of power comes with no surprise» (siehe auch Narzissmus in der Führung: (Fast) alles, was Sie über narzisstische Führung wissen müssen).
Held:innen als tragische Figuren
Helden und Heldinnen in Mythen und Erzählungen sind oft tragische Figuren. Ihr Heldentum ist unweigerlich mit Leid für viele und, häufiger als nicht, mit dem eigenen Untergang verbunden. Diese Erzählungen, verstärkt durch Jungs Archetypenlehre, zeigen uns, dass der Held oft ein:e einsame:r Kämpfer:in ist, der Weg unweigerlich zu persönlichem Opfer oder Tragödie führt. In der realen Welt der Wirtschaft führt die Idealisierung von Heldenfiguren zu unrealistischen Erwartungen und dem Druck, unmögliche Standards zu erfüllen, was oft zu Enttäuschung und Burn-out führt (siehe auch Wie vermeide ich Stress und Burn-out mit Gewaltfreier Kommunikation?).
Postheroische Führung als Alternative
Anstelle des heroischen Führungsmodells schlage ich das Konzept der postheroischen Führung vor. Dieses Modell betont Kollaboration, Demokratisierung der Macht und die Fähigkeit, komplexe Systeme zu navigieren. Postheroische Führer sind Facilitatoren, die Teamarbeit fördern, Vielfalt schätzen und die kollektive Intelligenz ihres Umfelds nutzen. Sie erkennen, dass in einer komplexen Welt keine Einzelperson alle Antworten haben kann (siehe auch den filmischen Beitrag auf Vimeo Streifgang: Postheroisch Führung mit Balthasar Wicki, ein prototypisches Gesprächsformat aus dem Jahre 2014).
Streifgang: Postheroisch Führung mit Balthasar Wicki
Die Schwierigkeit der Abkehr von Helden
Die Abkehr von der Vorstellung der heroischen Einzelnen, des heroischen Einzelnen ist nicht einfach. Zugegeben, zu verlockend der Ruf nach der starken Person, die «das Richtige» durchsetzt. Menschen sind evolutionär darauf programmiert, in Zeiten der Unsicherheit nach starken Führern zu suchen. Diese Veranlagung, kombiniert mit tief verwurzelten kulturellen Erzählungen, macht den Wandel schwierig. Doch angesichts der Tragik, die der Ruf nach dem starken Mann oder der starken Frau unweigerlich mit sich bringt, ist es unerlässlich, dass wir diese Veranlagung hinterfragen und neue Modelle der Führung und des Heldentums entwickeln.
Was die Welt benötigt …
Die Welt und die Menschheit benötigen weniger Heldinnen und Helden im traditionellen Sinne. Stattdessen benötigen wir Führungspersonen und Vorbilder, die Zusammenarbeit, Empathie und kollektive Intelligenz fördern. Die Abkehr von der Heroisierung einzelner und die Hinwendung zu einem inklusiveren, demokratischeren und vernetzten Verständnis von Führung und Einfluss könnte der Schlüssel zu einer nachhaltigeren und gerechteren Zukunft sein. In einer Welt, in der Machtmissbrauch keine Überraschung ist, liegt die wahre Stärke in der Fähigkeit, Macht zu teilen, zuzuhören und gemeinsam zu handeln.