Karma ist Handeln

Karma: ein missverstandenes Konzept, vornehmlich bei uns im Westen, wo es oft als eine Art «Gesetz der Vergeltung» betrachtet wird. In Wirklichkeit ist Karma in der buddhistischen Lehre tiefgründiger und komplexer. Die Bedeutung von Karma reicht über das blosse Konzept von Ursache und Wirkung hinaus und bezieht sich im Kern auf das Handeln eines Menschen und die Intentionen dahinter. Ein Text darüber, was Karma ist, wie es im Alltag funktioniert, und wie es unser Leben und unser Wachstum beeinflusst.

«Karma» stammt aus dem Sanskrit und bedeutet wörtlich «Handlung» oder «Tat». Fotografie: Daniel Frei

Daniel Frei – «Karma» stammt aus dem Sanskrit und bedeutet wörtlich «Handlung» oder «Tat». In der buddhistischen Philosophie bezieht sich Karma jedoch nicht nur auf physische Handlungen, sondern auch auf Worte und Gedanken. Jede dieser Handlungen hinterlässt eine Art «Abdruck auf unserem Bewusstsein». Buddha lehrte, dass diese «Karma-Abdrücke» oder «Karma-Samen» die Tendenzen und Gewohnheiten formen, die unser zukünftiges Verhalten und letztlich unser Leiden oder Glück beeinflussen.

Die Rolle der Intention

Im Buddhismus ist die Absicht, mit der wir handeln, von entscheidender Bedeutung. Buddha sagte: «Mit dem Geist beginnt alles; es ist der Schöpfer unserer Realität.» Wenn wir mit guter Absicht handeln, entsteht positives Karma, das zu Freude und Harmonie führt. Wenn wir mit schlechter Absicht handeln, erzeugen wir negatives Karma, was letztlich zu Leiden führt. Dies erklärt, warum die innere Haltung, mit der wir Dinge tun, so wichtig ist.

Stellen wir uns vor, jemand spendet Geld für einen wohltätigen Zweck. Wenn dies aus Mitgefühl geschieht, erzeugt es positives Karma. Wenn es jedoch getan wird, um das eigene Ego zu stärken oder Anerkennung zu bekommen, ist die Wirkung weniger positiv. Auch wenn die äussere Handlung dieselbe ist, beeinflusst die Absicht das erzeugte Karma stark.

Karma ist kein statisches Urteilssystem, sondern ein Prozess der Erkenntnis und des Wachstums. Jeder Mensch sammelt in seinem Leben eine Vielzahl an Erfahrungen, und diese sind oft eine Folge früherer Handlungen und Entscheidungen. Karma kann als Lernprozess gesehen werden, in dem wir durch unsere eigenen Erfahrungen verstehen, was uns und anderen Leid oder Freude bringt.

Positive und Negative Karma-Spiralen

Durch wiederholte Handlungen entstehen Gewohnheiten, die entweder förderlich oder hinderlich sein können. Wenn wir immer wieder negative Handlungen mit negativen Gedanken verbinden, schaffen wir eine Spirale des Leidens. Genauso können wir aber auch durch positives Handeln und Mitgefühl eine Spirale der Freude erschaffen. Dies ist der Kern des karmischen Gesetzes: Es ermutigt uns, bewusst zu handeln und Verantwortung für unser Leben zu übernehmen.

Ein Mensch, der oft ungeduldig und schnell wütend wird, wird sich oft in Situationen wiederfinden, in denen er Frustration erlebt. Durch das ständige Nachgeben in solche negativen Emotionen wird seine Fähigkeit, mit Konflikten geduldig und ruhig umzugehen, eingeschränkt. Umgekehrt kann eine Person, die sich bewusst bemüht, Geduld und Freundlichkeit zu üben, im Laufe der Zeit ein Umfeld schaffen, in dem Harmonie und Verständnis herrschen.

Karma im Kontext der Wiedergeburt

Im Buddhismus wird Karma oft im Kontext der Wiedergeburt diskutiert. Buddha lehrte, dass unser Bewusstsein nach dem Tod weitergeht und die Tendenzen und Gewohnheiten, die wir in diesem Leben kultiviert haben, unser nächstes Leben beeinflussen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Karma ein fester Plan ist, sondern vielmehr eine Kontinuität des Geistes, die in jedem Moment neu gestaltet werden kann.

Der Einfluss von Karma im Jetzt

Ein Mensch, der in der Vergangenheit Neid und Missgunst empfunden hat, kann bemerken, dass dies ihm heute Schwierigkeiten bereitet, wenn er versucht, aufrichtig glückliche Beziehungen zu pflegen. Indem er aber beginnt, bewusst an seinem Mitgefühl zu arbeiten und anderen Erfolg zu gönnen, kann er die karmischen Tendenzen in der Gegenwart verändern. Es ist daher wichtig zu verstehen, dass Karma nicht ausschliesslich in zukünftigen Leben seine Wirkung zeigt. Die Entscheidungen und Handlungen, die wir heute treffen, prägen auch unser gegenwärtiges Leben und die Beziehungen, die wir führen. Diese Perspektive ermutigt uns, im Hier und Jetzt bewusst und verantwortungsvoll zu handeln.

Die Auflösung von Karma durch Achtsamkeit und Mitgefühl

Eine der wertvollsten Erkenntnisse im Buddhismus ist, dass wir durch Bewusstheit unser Karma transformieren können. Achtsamkeit hilft uns, unsere Gewohnheiten und Handlungen klar zu sehen und die Wahl zu treffen, nicht mehr auf negative Impulse zu reagieren. Mitgefühl wiederum schafft eine Grundlage für positive Handlungen und karmische Saaten.

Ein Mensch, der dazu neigt, schnell zu urteilen und abwertend über andere zu sprechen, kann durch Achtsamkeit lernen, diese Gedanken zu bemerken, bevor sie sie ausspricht. Durch kontinuierliches Üben entwickelt sie die Fähigkeit, Mitgefühl anstelle von Urteilen zu praktizieren und so positive karmische Samen zu säen.

Wenn wir daher achtsam sind, können wir unsere negativen Tendenzen erkennen, bevor wir ihnen nachgeben. Diese Praxis der Achtsamkeit erlaubt es uns, unsere Reaktionen zu ändern und uns in eine Richtung zu entwickeln, die weniger leidvoll ist. So können wir alte Muster durchbrechen und neue, heilsame Wege schaffen.

Jede unserer Handlungen, Worte und Gedanken haben Einfluss auf unser Leben und unsere Umgebung

Karma ist ein tiefer Aspekt der buddhistischen Lehre, der uns daran erinnert, dass jede unserer Handlungen, Worte und Gedanken einen Einfluss auf unser Leben und unsere Umgebung haben. Durch Achtsamkeit, Mitgefühl und das Verständnis der karmischen Zusammenhänge können wir ein Leben führen, das weniger von Leiden und mehr von Harmonie geprägt ist. Karma bedeutet letztlich nicht «Schicksal», sondern bewusste, verantwortliche Gestaltung unseres eigenen Lebensweges.

Indem wir unsere Intentionen kultivieren und Verantwortung für unsere Handlungen übernehmen, können wir unser Karma positiv beeinflussen und zum Wohl aller beitragen.

Quellen

  • Dalai Lama: Verschiedene Werke über Karma und Mitgefühl.

  • Bhikkhu Bodhi: «The Buddha and His Teachings» – ein einführendes Werk über die Grundlagen des Buddhismus und Karma.

  • Thich Nhat Hanh: «The Heart of the Buddha’s Teaching» – eine liebevolle Einführung in buddhistische Prinzipien und Achtsamkeit.