Warum ist wieso anders als warum?
Warum oder wieso: Ist das wirklich dasselbe? Ein alltägliches Wort zeigt plötzlich seine Schärfe und wir stolpern über eine sprachphilosophische Bananenschale. Kaum jemand fragt nach dem feinen Unterschied zwischen «Warum» und «Wieso». Bis man es tut.
Kaum jemand fragt nach dem feinen Unterschied zwischen «Warum» und «Wieso». Bis man es tut. Fotografie: Daniel Frei
Daniel Frei – Manchmal verschwört sich die Sprache gegen einen. Ein einfaches Wort, oft benutzt, oft überhört, zeigt seine Ecken und Kanten, und schlagartig rutscht man auf einer sprachphilosophischen Bananenschale aus. Kaum jemand denkt darüber nach, doch sobald man die Frage stellt, warum ist «wieso» anders als «warum», beginnen die Zahnräder im Kopf zu werkeln. Die erste Reaktion? Ein instinktives Zurückweichen: «Das ist doch dasselbe!» Ist es das?
Die Schweizer Linguistin Helen Christen erklärt: «Sprache ist ein Organismus, kein Maschinenbauplan.» Wer sich mit diesem Organismus befasst, bemerkt schnell, dass «Warum» und «Wieso» keineswegs nur zufällig nebeneinander existieren. Sie sind nicht identische Zwillinge, sondern Geschwister mit unterschiedlicher Persönlichkeit.
Warum fragt nach Gründen, wieso nach Ursachen
Eine sprachliche Feinanalyse. «Warum» drängt nach Gründen, es bohrt, es verlangt eine Rechtfertigung. Ein Kind, das fragt: «Warum muss ich ins Bett?», will eine Erklärung, ein Argument, eine logische Begründung. «Weil du morgen früh aufstehen musst.»
«Wieso» aber ist launisch. Es schielt mehr in Richtung Kausalität. «Wieso ist der Himmel blau?» – Hier interessiert nicht die Absicht, sondern die Ursache. Man könnte sagen: «Warum» ist was für philosophierende, «Wieso» etwas für Physik-interessierte. Oder, um es mit Arthur Schopenhauer zu sagen: «Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.»
Diese Nuance wird besonders deutlich, wenn man versucht, die Wörter auszutauschen. «Warum gibt es Schwerkraft?» klingt nach einer theologischen Frage. «Wieso gibt es Schwerkraft?» nach einer, die Einstein beantworten kann.
Die heimliche Rolle von «Weshalb»
Bevor wir aber zu schnell urteilen, sollten wir noch den unscheinbaren Dritten im Bunde betrachten: «Weshalb». Ein Wort, das gerne übersehen wird, aber sich als stiller Vermittler anbietet. Es trägt die Eleganz eines Beamten, der beide Streitparteien zu besänftigen versucht. «Weshalb hast du das getan?» ist eine Mischung aus «Warum» und «Wieso», eine Frage, die sowohl nach Motivation als auch nach Ursache fragt.
Sprachhistoriker:innen könnten nun auf etymologische Differenzen hinweisen. «Warum» stammt von «war um», also «zu welchem Zweck herum?». «Wieso» wiederum ist eine Kurzform von «wieso?», was bereits die kausale Richtung vorgibt. Und «Weshalb»? Das steckt mit «halb» in einem metaphysischen Dilemma, als wolle es betonen, dass es nie eine ganze Antwort geben kann.
Der existenzielle Unterton
«Warum» hat etwas Existentielles. Es ist die Frage, die Menschen ins Grübeln stürzt, in dunklen Bibliotheken sitzen lässt, während «Wieso» eher eine praktische, handwerkliche Frage ist. «Warum leben wir?» ist eine Nachtgedanken-Frage. «Wieso leben wir?» eine biologische.
Kafka schrieb einmal: «Ein Käfig ging einen Vogel suchen.» Warum? Tja, das ist die Frage, die einen verzweifeln lässt. Wieso? Weil Kafka das so geschrieben hat. Das eine zerrt uns in die Tiefe, das andere zeigt uns eine Tür.
Ich erinnerte mich an eine Diskussion mit einer deutschen Bekannten. Wir sassen in einem Café in Zürich, als sie sagte: «Ich verstehe nicht, wieso die Leute hier immer so höflich sind.» «Warum stört dich das?», fragte ich. «Nein, nein, nicht warum, sondern wieso. Ich frage nach dem Grund, nicht nach der Absicht.» «Aber das ist doch dasselbe.» Sie seufzte. «Warum ich das sage, könnte ich dir erklären. Aber wieso ich es fühle, das weiss ich nicht.»
Da sass ich also mit meinem Milchkaffee, fühlte mich geschlagen und begann zu ahnen, dass die Frage, ob «Warum» und «Wieso» dasselbe sind, mich noch länger verfolgen würde.
Zwei Seiten derselben Medaille
Sprache ist nicht Werkzeug allein, sie ist Spiel. Wer sich darauf einlässt, entdeckt Feinheiten, wo andere nur Gewohnheiten sehen. «Warum» und «wieso» sind zwei Seiten derselben Medaille. Aber eine Seite zeigt nach innen, die andere nach aussen.
Oder, um Nietzsche zu bemühen: «Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.» Ob er auch jedes Wieso erträgt? Das bleibt offen.