Welche spezifischen Bewältigungsstrategien und Übungen können CPTSD-Betroffene im Alltag anwenden?

CPTSD stellt Betroffene im Alltag vor grosse Herausforderungen, doch es gibt wirkungsvolle Strategien, die helfen, Stress und Überforderung zu bewältigen. Ob Atemtechniken, Bewegung oder kreative Tätigkeiten – die richtigen Übungen können nicht nur für mehr Stabilität sorgen, sondern auch neue Hoffnung schenken.

Das Leben mit CPTSD ist oft ein Balanceakt zwischen Überforderung und dem Wunsch nach Stabilität. Illustration: @yuda.aiii

Das Leben mit CPTSD ist oft ein Balanceakt zwischen Überforderung und dem Wunsch nach Stabilität. Illustration: @yuda.aiii

Daniel Frei – Das Leben mit CPTSD ist oft ein Balanceakt zwischen Überforderung und dem Wunsch nach Stabilität. Doch es gibt eine Vielzahl von Strategien und Übungen, die Betroffene dabei unterstützen können, den Alltag besser zu bewältigen. Von kleinen, achtsamen Momenten bis zu praktischen Techniken.

Ein sicherer Anker im Alltag

Für viele Menschen mit CPTSD ist der Alltag geprägt von unerwarteten Triggern und emotionalen Höhen und Tiefen. Ein sicherer Anker, der in solchen Momenten Halt gibt, ist essenziell. Eine der einfachsten und zugleich wirksamsten Methoden ist die bewusste Atmung.

Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich in einer stressigen Situation: Ihr Herz schlägt schneller, Ihre Gedanken überschlagen sich, und Ihr Körper fühlt sich wie unter Strom an. Hier kann die 4-7-8-Atmung helfen. Sie atmen vier Sekunden ein, halten den Atem für sieben Sekunden an und atmen acht Sekunden aus. Diese Technik bringt nicht nur den Geist zur Ruhe, sondern signalisiert auch Ihrem Nervensystem, dass Sie sicher sind.

Rituale für mehr Stabilität

Ein strukturierter Tagesablauf kann Wunder bewirken, besonders in Zeiten der Unsicherheit. Viele Betroffene berichten, dass kleine Rituale im Alltag ihnen helfen, Stabilität und Vorhersehbarkeit zu schaffen.

Ein einfaches Beispiel: Beginnen Sie den Tag mit einem festen Morgenritual. Trinken Sie bewusst ein grosses Glas Wasser, schreiben Sie eine kurze Liste mit drei Dingen, auf die Sie sich freuen, oder bewegen Sie sich für ein paar Minuten – etwa durch sanftes Dehnen oder Yoga oder einen Morgenspaziergang. Diese Momente der Achtsamkeit können wie eine schützende Hülle wirken, die Sie durch den Tag trägt.

Ebenso wichtig ist es, den Tag mit einem Abendritual abzuschliessen. Ein Tagebuch oder Journal zu führen, in dem Sie Gedanken oder positive Momente festhalten, kann helfen, den Kopf zu klären und besser zur Ruhe zu kommen. Oder auch frühzeitig auf Medien zu verzichten, vor dem Schlaf und anstatt etwas lesen. Dies sind nur einige wenige Beispiele, die Sie inspirieren sollen, Ihre eigenen Rituale zu finden.

Die Macht der Bewegung

Der Körper ist oft der erste Ort, an dem sich Stress und Trauma bemerkbar machen – in Form von Anspannung, Unruhe oder Erschöpfung. Bewegung bietet eine Möglichkeit, diese Spannungen abzubauen. 

Eine Betroffene beschreibt, wie ein täglicher Spaziergang in der Natur für sie zur wichtigsten Bewältigungsstrategie wurde. «Die frische Luft, das Gehen – es bringt mich zurück in meinen Körper und hilft mir, den Kopf frei zu bekommen», erzählt sie. Es muss nicht immer Sport im klassischen Sinne sein. Auch Tanzen zu Ihrer Lieblingsmusik oder eine Runde Barfussgehen auf einer Wiese können heilsam sein.

Kreativität als Ventil

Manchmal fehlen die Worte, um das, was im Inneren vorgeht, auszudrücken. Hier können kreative Tätigkeiten wie Malen, Schreiben oder Musizieren helfen. Der Prozess des kreativen Schaffens bietet nicht nur einen sicheren Raum, um Gefühle auszudrücken, sondern kann auch wie eine Form der Meditation wirken.

Probieren Sie aus, Farben auf eine Leinwand zu bringen, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben, oder schreiben Sie einfach drauflos, ohne sich Gedanken über Rechtschreibung oder Grammatik zu machen. Der Zweck dieser Übungen ist nicht Perfektion, sondern Loslassen und Verarbeitung.

Präsenz durch Achtsamkeit

Achtsamkeit bedeutet, bewusst im Moment zu sein – eine Fähigkeit, die Menschen mit CPTSD oft verloren haben. Doch sie lässt sich wieder erlernen.

Eine einfache Übung, die Sie überall anwenden können, ist die 5-4-3-2-1-Technik: Schauen Sie sich in Ihrer Umgebung um und nennen Sie fünf Dinge, die Sie sehen, vier Dinge, die Sie hören, drei Dinge, die Sie fühlen, zwei Dinge, die Sie riechen und eine Sache, die Sie schmecken. Diese Übung lenkt Ihre Aufmerksamkeit zurück in den gegenwärtigen Moment und hilft, sich von belastenden Gedanken zu lösen.

Hilfe annehmen und Pausen gönnen

Es ist wichtig zu erkennen, dass nicht jede Strategie alleine funktionieren muss. Unterstützung von Freund:innen, Familie oder Therapeut:innen kann ebenso wertvoll sein. Und manchmal ist es auch in Ordnung, einfach innezuhalten, sich eine Pause zu gönnen und nichts zu tun.

Heilung und Bewältigung sind keine linearen Prozesse. Es gibt Tage, an denen Strategien besser funktionieren, und Tage, an denen sie weniger Wirkung zeigen. Wichtig ist, dass Sie dranbleiben und sich erlauben, mitfühlend mit sich selbst zu sein.

Kleine Schritte, grosse Wirkung

Die Bewältigung von CPTSD im Alltag erfordert Geduld, aber auch Kreativität und die Bereitschaft, Neues auszuprobieren. Ob durch Atemtechniken, kreative Tätigkeiten, Bewegung oder Achtsamkeit – jeder kleine Schritt bringt Betroffene näher an ein Leben, das sich stabiler und sicherer anfühlt. Und manchmal sind es gerade die kleinen, einfachen Übungen, die den grössten Unterschied machen.

Quellen

  • Van der Kolk, B. (2014). The Body Keeps the Score: Brain, Mind, and Body in the Healing of Trauma.

  • Kabat-Zinn, J. (1990). Full Catastrophe Living: Using the Wisdom of Your Body and Mind to Face Stress, Pain, and Illness.

  • Levine, P. (1997). Waking the Tiger: Healing Trauma.