Lüge Work-Life-Balance: Warum Erfolg und Familie einander im Weg stehen – und was wir daraus schliessen sollten
Work-Life-Balance ist ein Kuhhandel. Sie klingt nach Gleichgewicht, nach Harmonie. Als liesse sich alles koordinieren: Karriere und Kindergeburtstag, Managementmeeting und Beziehungspflege. Mit etwas Zeitmanagement, etwas Achtsamkeit, etwas Yoga. Ein Mythos. Ein sedierendes Narrativ für eine Gesellschaft, die sich selbst beschwichtigt. Denn wer es ernst meint mit dem beruflichen Durchbruch – unternehmerisch, künstlerisch, geistig – zahlt. Mit Zeit. Mit Präsenz. Mit Nähe. Erfolg verlangt Fokus. Und Fokus bedeutet Verzicht. Ambition ist nicht vereinbar mit Alltagstauglichkeit. Familie ist kein Projekt. Liebe ist nicht effizient. Und wer glaubt, alles gleichzeitig haben zu können, lebt in einer Illusion.
Daniel Frei – Work-Life-Balance ist das freundliche Wort für einen Kuhhandel, den keiner gewinnt. Es klingt nach Gleichgewicht, nach Harmonie. Als liesse sich Beruf mit Familie, Karriere mit Kindergeburtstag, Managementmeeting mit Beziehungspflege gleichwertig koordinieren – durch etwas Zeitmanagement, etwas Achtsamkeit, etwas Yoga am Abend. Ein Mythos. Ein sedierendes Narrativ für unsere Leistungsgesellschaft, die sich selbst zu beschwichtigen versucht. Denn wer sich ernsthaft hohe berufliche Ziele setzt – nicht im Sinn einer Beförderung, sondern im Sinn von unternehmerischem, künstlerischem oder geistigem Durchbruch –, der bezahlt den Preis dafür. Mit Zeit. Mit Präsenz. Mit emotionaler Verfügbarkeit.
Das Gesetz des Fokus
Ambition fordert Konzentration. Und Konzentration heisst Verzicht. Wer beruflich Ernst macht, lebt in der Einseitigkeit. Der Tunnelblick ist kein Fehler – er ist der Preis. Für das Start-up, das wächst. Für das Werk, das vollendet werden will. Für die Idee, die endlich in die Welt soll. Ambition ist inkompatibel mit einem Alltag voller Kompromisse. Kinder spüren das. Partner:Innen spüren das. Und man selbst auch – spätabends, wenn alle schlafen und das MacBook noch glüht. Die Frage ist nicht, ob man beides haben kann. Die Frage ist, was man zuerst verliert.
Familie ist kein Projekt
Es ist ein Denkfehler, Familie wie ein weiteres Projekt zu behandeln. Mit Checklisten, mit Kalenderfreigaben, mit Quality Time. Kinder brauchen keine effizienten Eltern, sondern gegenwärtige. Eine Partnerschaft braucht keine Zielgespräche, sondern stille Momente, in denen nichts muss. Wer abends «noch schnell etwas fertig machen muss», ist nicht da. Und irgendwann auch innerlich nicht mehr gemeint. Erfolg zieht Energie. Und er zieht sie zuverlässig aus dem, was sich nicht verteidigt: der Familie, dem Zuhause, der Zärtlichkeit.
Die Wahrheit ist brutal – und befreiend
Wer glaubt, man könne gleichzeitig beruflich durchstarten und eine innige, reibungslose Familienrealität leben, lebt in einer Illusion. Natürlich mag es Ausnahmen geben – mit Hilfe, mit Reichtum, mit Glück. Aber für die meisten heisst ehrgeiziger beruflicher Erfolg: Jemand anderes zahlt mit. Partner:In, Kinder, Freunde, die Gesundheit. Man selbst. Die Wahrheit ist unbequem, aber sie macht klar: Erfolg hat einen Preis. Und wer ihn nicht zahlen will, darf nicht so tun, als könnte er ihn einfach umgehen.
Was bleibt
Was also tun? Ehrlich sein. Verantwortung übernehmen – nicht nur für das, was man tut, sondern für das, was man lässt. Wer Karriere machen will, soll nicht von Vereinbarkeit sprechen, sondern von Opferbereitschaft. Wer Familie will, soll wissen, dass Tiefe nicht delegierbar ist. Und wer beides will, muss sich auf Scheitern in Serie gefasst machen. Vielleicht ist das der Anfang einer neuen Aufrichtigkeit – nicht zwischen Job und Leben, sondern zwischen uns selbst und unseren Ansprüchen.