Abwesenheit als Statussymbol: Unerreichbar sein, der neue Luxus

Luxus hat sich still und heimlich neu definiert. Die Symbole von gestern, Jaguar, AP und Louis Vuitton, sind noch da, aber sie wirken zunehmend altmodisch. Das wahre Statussymbol heute ist die Fähigkeit, verschwinden zu können. Wird erkannt, wer erfolgreich ist, wie lange er ungestört bleiben kann und nicht, wie viele Nachrichten er beantwortet?

Daniel Frei – Bis vor wenigen Jahren war die Logik einfach: Wer es geschafft hatte, zeigte es. Eine teure Uhr am Handgelenk, ein dickes Auto vor der Tür, ein Bürostuhl mit hoher Rückenlehne. Mehr oder weniger subtile Sichtbarkeit war Teil des Spiels. Erfolg musste belegt werden. Und zwar so, dass ihn jede*r sehen konnte.

Von der Rolex zum Autoresponder

Aber wie sich die Zeiten ändern. Heute lässt sich dieser Code nicht mehr eins zu eins anwenden. Wer permanent sichtbar ist, online, im Meeting, in Social-Media-Feeds, wirkt nicht unbedingt erfolgreich, sondern eher überlastet. Das neue Signal lautet: «Ich bin so in Kontrolle, dass ich nicht erreichbar bin.»

Ein Autoresponder, der mitteilt, dass Mails nur zweimal pro Woche bearbeitet werden, ist im Jahr 2025 das, was in den 1990ern eine limitierte Rolex war: eine bewusst gesetzte, für Aussenstehende schwer erreichbare Form von Exklusivität.

Langsame Antworten als Machtinstrument

Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen langsamer Antwort aus Überforderung und langsamer Antwort aus Absicht. Letzteres ist ein Machtinstrument. Es zeigt, dass man Prioritäten so setzt, dass fremde Agenden nicht den Tagesablauf bestimmen. Diese Menschen haben verstanden, dass ständige Reaktion keine Führung ersetzt und jede Unterbrechung einen Preis hat.

Das Muster ist überall gleich: Die erfolgreichsten Menschen verknappen ihre Präsenz. Nicht nur im Beruf, auch privat. Sie führen konsequent ein Single-Threaded Life: Wenn sie arbeiten, arbeiten sie. Wenn sie mit der Familie sind, sind sie mit der Familie. Wenn sie trainieren, trainieren sie. Selbstaufopferung durch Multitasking? Für die Arbeiterklasse.

Das wirkt radikal, weil wir uns an Dauerablenkung gewöhnt haben. Ein Manager, der beim Abendessen mit dem Team das Telefon ausschaltet, gilt fast schon als exzentrisch. Eine Politikerin, die drei Wochen Urlaub ohne Smartphone macht, wird als unnahbar kritisiert. Aber genau darin liegt der Punkt: Präsenz ist wertvoll, wenn sie knapp ist.

Abwesenheit ist Architektur, nicht Zufall

Dieses Modell entsteht nicht von selbst, es ist das Ergebnis bewusster, konsequent geplanter Strukturen. Unternehmen, die auf diese Weise geführt werden, sind so gebaut, dass sie auch ohne ständige Rücksprache und ohne permanente Eingriffe der Führungsebene funktionieren. Verantwortlichkeiten sind klar verteilt, sodass nicht jede Entscheidung an einer zentralen Person hängen bleibt. Rollen sind so definiert, dass Mitarbeitende Entscheidungen innerhalb ihrer Zuständigkeit treffen können, ohne Rückversicherung einholen zu müssen. Kommunikationswege sind so gestaltet, dass nur wirklich Relevantes bis ganz nach oben dringt, während Routinefragen im System abgefangen oder eigenständig gelöst werden.

Das setzt Disziplin voraus. Und eine veränderte Definition von Kontrolle. Kontrolle bedeutet hier nicht mehr: «Ich weiss jederzeit, was passiert», sondern: «Ich habe so klare Rahmenbedingungen geschaffen, dass ich nicht jederzeit informiert werden muss.» Führung in diesem Modell ist weniger ein ständiges Eingreifen als ein präzises Setzen von Leitplanken. Wer so arbeitet, weiss, dass ein Tag ohne Erreichbarkeit keine Störung ist, sondern Teil des Plans.

Diese Form der Abwesenheit ist nicht das Ergebnis von Glück, Talent oder einem funktionierenden Team allein. Sie ist bewusst erarbeitet. Sie entsteht durch klare Prozesse, saubere Prioritäten und die Bereitschaft, nicht jede Information und Entscheidung über den eigenen Tisch laufen zu lassen. Paradoxerweise führt diese Reduktion an Kontrolle zu mehr Stabilität: Das System wird robuster, weil es nicht von der Dauerpräsenz einer einzelnen Person abhängt.

Luxus durch Weglassen

Das Erstaunliche: Vieles, was heute als High End gilt, basiert nicht auf Hinzufügen, sondern auf Weglassen. Private Jets werden nicht mehr nur gebucht, um schneller ans Ziel zu kommen, sondern um unsichtbar zu sein, fern von Flugradar, Tracking-Apps und öffentlicher Beobachtung. Dumb Phones, die nichts anderes können als telefonieren und SMS senden, kosten dreistellige Beträge, weil sie bewusst keine Apps, keine Internetverbindung und keine ständige Ablenkung bieten. Schreibmaschinen-Laptops mit nur einer Funktion, Schreiben, haben Wartelisten, weil sie eine Arbeitsweise ermöglichen, die in der normalen Digitalumgebung kaum noch möglich ist.

Diese Form des Luxus ist radikal anders als das, was wir früher unter «High End» verstanden haben. Es geht nicht darum, sich mehr Funktionen, mehr Komfort oder mehr Geschwindigkeit zu leisten, sondern darum, sich weniger antun zu müssen: weniger Unterbrechungen, weniger Fremdsteuerung, weniger permanente Sichtbarkeit.

In der Gastronomie zeigt sich das in Menüs mit drei statt dreizehn Gängen – sorgfältig ausgewählt, statt verschwenderisch angehäuft. In Hotels wird das WLAN bewusst ausgeschaltet, um Gästen einen echten Rückzug zu ermöglichen. Selbst im Automobilbereich taucht der Trend auf: Fahrzeuge ohne Touchscreen, reduziert auf analoge Bedienelemente, weil sich manche Kunden vom digitalen Überfluss befreien wollen.

Früher definierte sich Luxus über Hülle und Fülle. Heute definiert er sich über das, was fehlt. Und genau deshalb so wertvoll ist.

Deep Work ist die neue Jacht, Fokus der neue Jaguar

Die Parallele zum alten Luxus ist klar: Es geht immer noch um Exklusivität, nur dass der Wert heute nicht mehr in materiellen Statussymbolen liegt, sondern in ungestörter Zeit. Was früher die Jacht war, selten, teuer, luxuriös in ihrer Wirkung, ist heute Deep Work: konzentriertes, ununterbrochenes Arbeiten an einer Aufgabe, ohne dass Chat-Benachrichtigungen oder E-Mail-Pop-ups den Fluss zerstören.

Fokus ist der neue Jaguar: schnörkellos, direkt und ohne Umwege auf ein Ziel ausgerichtet. Präsenz ist die neue Audemars Piguet. Nicht deshalb wertvoll, weil man sie ständig bei sich trägt, sondern weil sie nur in den Momenten sichtbar wird, in denen sie wirklich zählt. Diese Verschiebung ist kein kurzlebiger Trend, sondern logische Reaktion auf die Überhitzung unserer Kommunikationskultur. Diejenige oder derjenige hat die Kontrolle über das eigene Leben, der die Kontrolle über die eigene Erreichbarkeit behält.

Was das für uns bedeutet

Für Unternehmer*innen heisst das, Prozesse zu schaffen, die ohne sie laufen. Für Kreative: Arbeitsphasen schützen, in denen niemand Zugriff auf Sie hat. Und für Führungskräfte: Meetings streichen, die keine Entscheidungen bringen.

Es geht nicht um Eskapismus, sondern um eine neue Arbeitshygiene. Nicht weniger Verantwortung, sondern klarere Grenzen. Wer sich diese Art von Luxus nicht leisten kann, ist oft nicht an Geld, sondern an Strukturen gescheitert.

Der grösste Unterschied zwischen altem und neuem Luxus ist: Der alte war für andere sichtbar, der neue ist es nicht. Eine Rolex sieht jeder, einen Tag ohne Telefon niemand, ausser man selbst. Und dieser Tag ist oft der wertvollste im ganzen Jahr.