Demokratie hält viel aus: Was wir ihr zumuten dürfen, was wir ihr schulden
Demokratie ist kein zartes Pflänzchen, das beim leisesten Windstoss zerbröselt. Eher gleich einem alten Baum, knorrig, verwurzelt, angegriffen und doch erstaunlich widerstandsfähig. Sie erträgt Streit, Irrtümer, Niederlagen und Missbrauch. Aber sie lebt nur, solange wir ihr etwas zurückgeben. Demokratie hält viel aus. Nicht alles. Frage ist: Was tue ich, was tun wir, damit sie bleibt und gedeiht?
Demokratie: Was wir ihr zumuten dürfen, was wir ihr schulden. Fotografie: Daniel Frei
Daniel Frei – Manchmal wird, heute wieder öfter, gesagt: Die Demokratie ist in Gefahr. Weil Populistinn:en schreien, weil Parlamente blockieren, weil sich Fake News und Lügen schneller verbreiten als Wahrheiten. Ja, das stimmt. Und gleichzeitig stimmt auch das Gegenteil: Demokratie hält viel aus.
Sie hält aus, dass wir Fehler machen. Sie hält aus, dass Mehrheiten heute so entscheiden und morgen anders. Sie hält aus, dass Regierungen stolpern, dass Bürgerinnen und Bürger ungeduldig sind, dass Proteste laut werden. Demokratie lebt nicht davon, perfekt zu sein, sondern davon, Fehler immer wieder zu korrigieren.
Was sie nicht aushält
Was Demokratie nicht aushält, ist Gleichgültigkeit. Wenn wir nicht mehr wählen gehen. Wenn wir nicht mehr zuhören. Wenn wir nicht mehr streiten, sondern nur noch schweigen. Demokratie stirbt nicht an der Überlastung, sondern am Desinteresse.
Die eigentliche Gefahr liegt nicht im Populismus, sondern darin, wenn die Mehrheit den Aufwand nicht mehr betreiben will, ihm entgegenzutreten. Wenn wir meinen, die Institutionen erledigen das schon. Demokratie ist kein Selbstläuferin.
Was also kann ich tun, konkret, hier, jetzt?
Ich kann mich einmischen. Nicht immer laut, nicht immer parteipolitisch, dafür wach, aufmerksam, fragend. Ich kann bei Abstimmungen nicht nur meine Stimme abgeben, sondern auch im Freundeskreis diskutieren. Ich kann Artikel schreiben, Debatten eröffnen, Unbehagen artikulieren.
Ich kann zuhören. Nicht nur jenen, die mir nahestehen, sondern gerade den anderen. Demokratie lebt vom Kontrast, nicht vom Einklang. Ich muss lernen, Widerspruch nicht als Angriff zu verstehen, sondern als Teil des Spiels.
Ich kann mich bilden. Demokratie ist nur so stark wie das Wissen ihrer Bürger:innen. Wer die Spielregeln nicht kennt, wer nicht versteht, woher Gesetze kommen, wie Kompromisse entstehen, kann auch nicht sinnvoll mitreden.
Der Preis der Freiheit
Demokratie ist unbequem. Sie verlangt Zeit, Geduld, Energie. Sie verlangt, dass ich mich mit Menschen auseinandersetze, die ich nicht mag. Dass ich Kompromisse akzeptiere, die mir nicht passen. Dass ich mich nicht nur um mein Recht, sondern auch um meine Pflicht kümmere.
Es ist leicht, die Demokratie zu kritisieren. Aber schwer, sich an ihr zu beteiligen. Und doch ist es genau das, was sie am Leben hält.
Demokratie als Zumutung und Geschenk
Vielleicht sollten wir aufhören, Demokratie immer nur zu verteidigen, als sei sie zerbrechlich. Sie ist stärker, als wir denken. Aber sie braucht unsere Zuwendung. Sie ist keine Couch, auf der wir uns bequem zurücklehnen. Sie ist ein Organismus, der nur lebt, wenn wir ihn nähren. Demokratie ist die Zumutung, dass ich mich einbringen muss.
Und das Geschenk, dass meine Stimme zählt.