Performance Punishing oder die Ökonomie des Mittelmasses: wie Quiet Promotion High Performer verheizt

Wer Leistung bringt, soll belohnt werden. So steht es in Karriereratgebern, Leitbildern und auf den polierten Slides jeder HR-Präsentation. Im Alltag heisst die Praxis aber oft genug anders: «Performance Punishing». Die Tüchtigsten werden mit zusätzlicher Arbeit belastet, ohne Titel, ohne Lohn, ohne Schutz. Man nennt es hübsch «Quiet Promotion», als wäre es ein Geschenk. In Wahrheit ist es die stille Strafe für Leistung und der sicherste Weg, Motivation zu zerstören, Burn-out zu befördern und die besten Leute zu verlieren.

Ein professionelles Nein ist kein Affront, sondern ein Service. Es macht Prioritäten sichtbar, schützt Qualität und verhindert, dass aus dem Ausnahmezustand Normalität wird. Fotografie: Daniel Frei

Ein professionelles Nein ist kein Affront, sondern ein Service. Es macht Prioritäten sichtbar, schützt Qualität und verhindert, dass aus dem Ausnahmezustand Normalität wird. Fotografie: Daniel Frei

Daniel Frei – Performance Punishing ist keine Laune, kein Einzelfall, keine schlechte Woche. Es ist ein System: Jemand löst zuverlässig Probleme, hält Deadlines, trägt Teams durch Turbulenzen und wird dafür nicht entlastet, sondern dauerhaft stärker belastet. Es beginnt harmlos, als Dank für die letzte Rettungstat. Es wird zur Gewohnheit, weil Menschen, die funktionieren, kaum Widerstand leisten. Und es endet damit, dass die Verantwortung wächst, ohne dass formale Macht, Zeit oder Ressourcen nachziehen. Die Organisation spart Konflikte, die Führung spart Mut, das Budget spart Geld und die leistungsstarke Person zahlt die Rechnung mit Energie, Gesundheit und am Ende Loyalität.

Die Mechanik hinter der Strafe

Im Kern ist die Logik brutal einfach. Verlässlichkeit wird mit Mehrarbeit beantwortet. Wer Ja sagt, bekommt mehr, weil es bequemer ist, dorthin zu delegieren, wo die Sache sicher ankommt. Führung verwechselt «kann» mit «kann noch mehr» und «macht» mit «macht immer». Kolleginnen und Kollegen reagieren menschlich: Wer den Standard sprengt, erhöht unwillentlich die Messlatte. Niemand wird gern ständig überragt. Also zieht man sich zurück, und das System verteilt die Last asymmetrisch auf die Schultern derjenigen, die tragen können. Aus einer Ausnahme wird ein Zustand. Aus einem Zustand wird eine Kultur.

Mittelmass als stiller Machtfaktor

Organisationen sind erstaunlich gut darin, sich im Mittelmass einzurichten. Das Überragende ist produktiv, aber unbequem. Es wirbelt Prozesse auf, hinterfragt Rollen, zeigt Sackgassen auf und zwingt zu Entscheidungen. Das Mittelmass tut das Gegenteil: Es beruhigt, es bestätigt, es lässt Hierarchien unangetastet. Darum ist es für viele Systeme verführerisch, das Überragende zu dämpfen. Nicht offen, nicht laut, sondern sanft, mit einem freundlichen «Du kannst das doch so gut». Das ist die eigentliche Pointe von Quiet Promotion: Die Beförderung geschieht nicht nach oben, sondern nach innen, in die Lücke zwischen Verantwortung und Autorität. Die Titel bleiben, die Last wächst.

Von der Schulbank bis zur Chefetage: ein kultureller Faden

Das Muster beginnt früh. In Klassenzimmern ist «zu viel» oft so verdächtig wie «zu wenig». In der Politik werden komplizierte Antworten selten belohnt, obwohl die Welt kompliziert ist. In Behörden gelten Effizienzsprünge als Störung des vorgesehenen Tempos. Wir lernen, Exzellenz zu bewundern, solange sie dekorativ bleibt. Sobald sie Konsequenzen hat, wird sie relativiert. Dieselbe Haltung trifft im Unternehmen auf die Tüchtigen: Bitte glänzen – aber ohne Schatten auf das Bestehende zu werfen. Das ist nicht Bösartigkeit, es ist Trägheit. Aber Trägheit ist teuer.

Die betriebswirtschaftliche Rechnung, die nie aufgeht

Performance Punishing wirkt kurzfristig effizient. Probleme verschwinden bei den Verlässlichen, Termine werden gehalten, Kundinn:en sind zufrieden. Auf der Langstrecke kippt die Bilanz. Die Person an der Lastgrenze verliert zuerst ihre Grosszügigkeit, dann ihre Motivation, dann ihre Gesundheit. Die Stimmung im Team kippt in Zynismus: «Wer sich anstrengt, wird nur bestraft.» Neue Leute erkennen rasch, wie die Belohnungslogik tatsächlich funktioniert, und passen sich an oder gehen. Fluktuation wird zum stillen Kostenblock, Wissensverlust zur Dauerrisiko-Position, Employer Branding zur leeren Versprechenskulisse. Man kann eine Organisation buchstäblich zu Tode stabilisieren.

Führungskultur: Wo die Dinge entschieden oder vertagt werden

Performance Punishing ist ein Führungsentscheid, auch wenn niemand ihn so nennt. Wer Arbeit stets dorthin schiebt, wo sie mit minimalem Widerstand verschwindet, entscheidet sich gegen Verteilungsgerechtigkeit, gegen Entwicklung und gegen Mut. Es ist bequem, aber unprofessionell. Führung beginnt dort, wo Bequemlichkeit endet. Dazu gehört, Verantwortung sichtbar zu machen, Rollen zu klären, Erwartungen zu verhandeln und Nein sagen zu lernen. Als Führungsperson und als High Performer. Wer Menschen dauerhaft ausserhalb ihrer formalen Rolle arbeiten lässt, entwertet beide: die Rolle und den Menschen. Ausgerechnet jene, die man halten möchte, verlieren die Bindung zuerst.

Die Psychologie der Tüchtigen

High Performer sind nicht einfach «stärker», sie sind oft schweigsamer in Bezug auf ihre Belastung. Sie wollen nicht klagen, sie wollen liefern. Das ist sympathisch und gefährlich. Das Schweigen wird als Zustimmung gelesen, die Zustimmung als Kapazität. So entsteht eine Illusion von unendlicher Dehnbarkeit. Irgendwann reissen die Nähte, und alle sind überrascht. «Warum hast du nichts gesagt?» ist ein schwacher Satz, wenn das System geradezu darauf programmiert war, nicht zuzuhören. Ein professioneller Rahmen anerkennt, dass Leistungsfähigkeit keine unendliche Ressource ist. Sie ist wie ein Akku: Er lädt, wenn man ihn lässt. Er stirbt, wenn man ihn permanent auf 3 % runter fährt.

Der Preis des Etikettenschwindels

Quiet Promotion klingt freundlich, beinahe modern. Das Problem ist nicht das «Quiet», sondern die «Promotion». Wer Verantwortung übernimmt, soll die dazugehörige Autorität bekommen und die Zeit, die Mittel, den Lohn. Alles andere ist Etikettenschwindel. Menschen spüren sehr genau, ob ihr Einsatz mit der Realität korrespondiert. Fehlt diese Deckung, entsteht das Gefühl von Betrug. Nicht der grosse, justiziable Betrug. Der kleine, tägliche: versprochene Wertschätzung, die nicht materialisiert; gefeierte Verantwortung, die nicht abgesichert ist; schöne Worte ohne Wirkung. Auf diesem Boden wächst kein Engagement.

Was anders ginge, ganz ohne Zauberstab

Eine organisationale Kultur, die Leistung nicht bestraft, beginnt mit einem einfachen Satz: Verantwortung ist sichtbar, messbar und begrenzt. Sie wird nicht heimlich erhöht, sondern offen verhandelt, mit Zielen, Zeit und Ressourcen. Wer ausserhalb seines Rollenprofils agiert, tut das temporär und mit einer klaren Brücke: Entlastung, Anerkennung, Perspektive. Dazu gehört ebenso, dass Führung den Mut aufbringt, auch die Bequemen in Bewegung zu bringen. Nicht die Tüchtigen noch tüchtiger, sondern die Blockierer endlich verantwortlich. Eine faire Lastverteilung ist kein moralischer Luxus, sie ist produktive Hygiene. Und ja: Es kostet. Aber es ist günstiger als das endlose Drehen an der Fluktuationsschraube.

Das professionelle Nein

Auch High Performer brauchen Technik, nicht nur Haltung. Ein professionelles Nein ist kein Affront, sondern ein Service. Es macht Prioritäten sichtbar, schützt Qualität und verhindert, dass aus dem Ausnahmezustand Normalität wird. Wer Verantwortung trägt, darf Reihenfolge, Aufwand und Alternativen benennen. Nicht rechthaberisch, sondern präzise. «Ich kann X übernehmen, wenn Y entfällt oder Z mitkommt.» Das ist kein Mangel an Teamgeist. Es ist die Bedingung dafür, dass Teamgeist länger als bis nächsten Dienstag hält.


Der Humor, der bleibt

Es gibt eine absurde Komik in diesem ganzen Spiel. Man stelle sich einen Stall vor, in dem das stärkste Pferd die doppelte Last bekommt, weil es gestern die doppelte Last gezogen hat. Das Management nickt zufrieden: «Effizienz!» Der Hufschmied hebt die Augenbraue. Die Kutsche kommt an, bis sie eines Tages nicht mehr kommt. Dann beauftragt man eine Beratungsfirma, die eine Studie erstellt, weshalb die Kutsche plötzlich nicht mehr kommt. So entsteht eine längst bekannte Einsicht: Es war nie effizient. Es war nur bequem, bis es teuer wurde.

Der Mut, der zählt

Performance Punishing ist die höfliche Form der Selbstsabotage. Es schmeckt zunächst nach Ordnung und Verantwortungsbewusstsein und hinterlässt doch den Nachgeschmack von Müdigkeit, Zynismus und Verlust. Wer es ernst meint mit Mitarbeiterbindung, Gesundheit, Innovation und Qualität, beginnt dort, wo die stille Strafe für Leistung bisher als Normalität durchging. Mit klaren Rollen. Mit echter Anerkennung. Mit Führung, die den Mut hat, das Unbequeme auszuhalten. Die Stärke einer Organisation zeigt sich nicht daran, wie elegant sie Mittelmass verwaltet, sondern daran, wie furchtlos sie Exzellenz ermöglicht. Wer seine Besten schützt, statt sie zu bestrafen, schafft Zukunft. Wer sie verheizt, schafft Kosten. So einfach. So schwierig. So entscheidend.