Die Implosion des Glanzes: Wenn Narzisst:innen alles verlieren, was sie geschaffen haben.

Narzisstische Führung ist kein Charakterfehler und kein Drama aus Management-Ratgebern. Sie ist ein altes Muster aus Sehnsucht, Schmerz und der verzweifelten Hoffnung, sich selbst in der Welt zu sichern. Narzisst:innen bauen Grosses. Sie entzünden Funken. Sie führen mit einer Kraft, die mitreisst. Und sie zerstören am Ende oft genau das, was aus ihnen entstanden ist. Nicht aus Bosheit. Sondern aus Angst. Vor der Stille. Vor Bedeutungslosigkeit. Vor dem eigenen Innen. Dieser Text versucht, die Mechanik dieser Implosion zu verstehen. Nicht wertend, menschlich.

Eine Leere, die nie gefüllt wurde: Narzisst:innen zerstören oft genau das, was aus ihnen entstanden ist. Fotografie: Daniel Frei

Eine Leere, die nie gefüllt wurde: Narzisst:innen zerstören oft genau das, was aus ihnen entstanden ist. Fotografie: Daniel Frei

Daniel Frei – Narzisstische Menschen faszinieren. Sie betreten einen Raum, als hätte er nur auf sie gewartet. Sie sprechen mit einer Intensität, die sofort alles erfüllt. Sie erzählen Geschichten, die grösser wirken als das Leben selbst. Doch was von aussen wie strahlende Selbstsicherheit wirkt, ist innen oft ein fragiles Gebilde. Ein Schutzpanzer. Eine Maske, die zugleich Glanz und Schwäche ist. Im Zentrum narzisstischer Führung liegt selten Arroganz. Es liegt eine frühe, tiefe Verletzung, eine Erfahrung, nicht gesehen worden zu sein, zugrunde. Eine Leere, die nie gefüllt wurde.

Die narzisstische Persönlichkeit entscheidet sich irgendwann, sich so gross zu machen, dass niemand mehr an ihr vorbeikommt. Nicht, um zu dominieren. Sondern um nicht noch einmal zu verschwinden. Genau daraus entsteht der visionäre Antrieb, den viele Organisationen lieben. Die Ideen. Die Energie. Der unermüdliche Vorwärtsdrang. Die Fähigkeit, ein Team mitzureissen und ein Unternehmen zum Leuchten zu bringen. Und gleichzeitig beginnt hier auch der Mechanismus, der später alles zum Einsturz bringen kann. Denn je mehr Glanz entsteht, desto grösser wird die Angst, dass er verlöschen könnte.

Die Implosion des Erfolgs

Die Angst vor der eigenen Ersetzbarkeit ist der Anfang vom Ende. Je stabiler ein System wird, desto stärker fühlt sich die narzisstische Persönlichkeit bedroht. Stabilität bedeutet, dass das System auch ohne sie funktionieren könnte. Erfolg wird plötzlich zur Bedrohung. Nicht zur Erfüllung. Ein funktionierendes Team wirkt bedrohlich, weil es zeigt, dass andere genauso viel beitragen wie man selbst. Ein Projekt, das läuft, fühlt sich gefährlich an, weil es beweist, dass man nicht unersetzbar ist. Und ein System in Ruhe ist für narzisstische Führungskräfte kaum auszuhalten, weil es keinen ständigen Beweis der eigenen Bedeutung mehr liefert.

Und genau hier beginnt die Implosion. Die Kontrolle wird enger. Die Zügel härter. Die Loyalität wird geprüft, nicht gelebt. Die Interpretation anderer wird misstrauischer. Was gestern als Unterstützung empfunden wurde, wirkt heute wie Konkurrenz. Kooperation wird zum Risiko. Delegation fühlt sich an wie Kontrollverlust. Und so wird das System, das eigentlich gereift ist, wieder in Unruhe versetzt. Nicht, weil es nötig wäre. Sondern weil das Ego nicht mit der Stille leben kann.

Die Dynamik der Zerstörung

Ich habe narzisstische Führungspersonen oft erlebt. Menschen mit grosser Begabung, grosser Energie, grosser Vision. Menschen, die in einer einzigen Woche mehr bewegen als andere in einem Quartal. Und Menschen, die kurz darauf alles infrage stellen, was sie geschaffen haben. Sie isolieren sich. Sie bekämpfen Loyalität, weil sie Abhängigkeit fürchten und Unabhängigkeit erst recht. Sie bauen Mauern, weil Nähe gefährlich wirkt, und sie sprengen Brücken, weil ihre Angst vor Verrat stärker ist als die Sehnsucht nach Zugehörigkeit.

Die narzisstische Implosion ist kein lautes Ereignis. Sie ist ein schleichender Luftzug. Ein langsamer Druck aufs System. Ein steter Entzug von Vertrauen. Bis das System nicht mehr tragen kann. Nicht, weil es schlecht war. Sondern weil es nicht mehr atmen durfte. Am Ende steht kein böser Mensch. Sondern ein überforderter. Einer, der gegen die eigenen inneren Kräfte kämpft und dabei das äussere Gefüge zerstört.

Der mögliche Wendepunkt

Die gute Nachricht ist: Diese Dynamik ist veränderbar. Sie kann sich wandeln. Aber nicht durch Ratgeber, nicht durch Selbstoptimierungsrituale und nicht durch Mantras zur Gelassenheit. Sie wandelt sich erst, wenn die narzisstische Persönlichkeit sich selbst begegnet. Nicht dem Bild. Nicht der Rolle. Dem inneren Kern. Dem Teil, der nie genug war und der genau deswegen zu viel werden musste.

Die wahrhafte Wende geschieht, wenn die Person erkennt, dass ihre Stärke nicht im Glanz liegt, sondern im Menschsein. Dass Wirkung nicht aus Lautstärke entsteht, sondern aus Klarheit. Dass Anerkennung nur dann nährt, wenn sie freiwillig kommt. Und dass ein System nicht zusammenfällt, wenn man es loslässt. Sondern aufblühen kann. Der entscheidende Satz lautet: Ich bin genug. Nicht als Rolle. Nicht als Funktion. Als Mensch. Aber Satz fühlt sich für viele Narzisst:innen wie ein Kontrollverlust an. Und genau hier beginnt die Freiheit: Wer genug ist, muss nichts mehr zerstören, um gesehen zu werden.

Der leise Glanz

Narzisst:innen sind keine Monster. Sie sind Menschen mit einer Geschichte, die zu laut geworden ist. Mit einer Sehnsucht, die zu oft übertönt wurde. Mit einer Angst, die nie beruhigt wurde. Wenn dieser Mensch lernt, dem eigenen Innen zuzuhören, verändert sich alles. Die Destruktion hört auf. Die Grösse bleibt. Der Glanz verliert seine Sprengkraft. Er wird ruhiger. Echtes Führungspotenzial entsteht erst hier. Nicht im grossen Auftritt. Nicht im Visionären. Sondern im Menschlichen. In der Fähigkeit, die eigenen Muster zu erkennen, zu halten und zu transformieren. Die Implosion bleibt aus. Und in ihrem Platz entsteht ein Glanz, der nicht blendet. Sondern trägt.


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