«Es geht nicht (nur) ums Geschäft» – Warum die Nachfolgeregelung Unternehmern so schwerfällt
Loslassen ist keine Managementtechnik. Aber eine Mutprobe. Wenn Unternehmer ihr Lebenswerk übergeben, beginnt oft nicht einfach der Ruhestand – sondern eine stille, innere Zerreissprobe. Die Nachfolge ist selten nur ein betriebswirtschaftlicher Akt. Sie ist ein psychologisches Drama in mehreren Akten – mit einem Protagonisten, der stark sein musste, solange es ging. Und der nun schwach sein dürfte, es aber nicht kann. Was wie ein logischer Schritt aussieht – die Übergabe der Firma – ist für viele in Wahrheit das letzte grosse Projekt ihres Lebens: der Übergang vom Entscheider zum Übergeber, vom «Ich bin» zum «Was bleibt?».
Für viele Unternehmer ist die Übergabe ihres Lebenswerks kein betriebswirtschaftlicher Vorgang, sondern ein existenzieller Schnitt. Fotografie: Daniel Frei
Daniel Frei - Wenn ein Kapitel endet, beginnt nicht einfach ein neues – manchmal beginnt erst das Nachdenken. Für viele Unternehmer ist die Übergabe ihres Lebenswerks kein betriebswirtschaftlicher Vorgang, sondern ein existenzieller Schnitt. Was nach aussen wie ein logischer Schritt aussieht – die Regelung der Nachfolge – ist in Wirklichkeit ein emotionales Minenfeld.
Die Firma, die sie aufgebaut, geprägt, geführt haben, steht nicht nur für Erfolg und Verantwortung, sondern auch für Identität, Macht und Sinn. Und genau hier beginnt das letzte grosse Projekt: der Übergang vom Unternehmer zur Privatperson, vom Entscheider zum Übergeber, vom «Ich bin» zum «Was bleibt?».
Das letzte grosse Projekt
Die Unternehmensnachfolge gilt als einer der letzten grossen unternehmerischen Schritte – und für viele gleichzeitig als der schwierigste. Gerade bei Familienunternehmen, wo über Jahrzehnte hinweg nicht nur Werte, sondern auch Kontrolle und Verantwortung zentralisiert wurden, steht die Übergabe oft im Schatten unausgesprochener Themen.
Viele Inhaber, meist Männer um die 60 und älter, ringen mit der Entscheidung, wann und wie sie loslassen sollen. Der Betrieb ist gewachsen, unter ihrer Führung. Oft in einem Stil, der von Durchsetzungsfähigkeit, Entscheidungsstärke – und nicht selten von Dominanz geprägt war. «Ich habe das aufgebaut», sagen sie. Und sie haben recht. Doch genau dieses «Ich» wird nun zur zentralen Frage.
Ein Unternehmen ist kein Kind – aber fast
Wenn ein Unternehmer sein Lebenswerk abgibt, geht es nicht nur um Verträge, Zahlen und Besitz. Es geht um Identität. Der Soziologe und Managementvordenker Peter Drucker schrieb: «Das Wichtigste in der Kommunikation ist, zu hören, was nicht gesagt wird.» Und was nicht gesagt wird: Ich habe Angst.
Angst, nicht mehr gebraucht zu werden. Angst, dass mein Werk scheitert, sobald ich weg bin. Angst, dass ich selber verschwinde, wenn ich nicht mehr der Chef bin.
Und da setzt das Problem an: Diese Ängste passen nicht in die Denkweise vieler Unternehmer dieser Generation. Gefühle sind privat. Schwächen zeigt man nicht. Auch nicht gegenüber sich selbst.
Der blinde Fleck: Loslassen heisst Machtverlust
Viele dieser Generation sind mit einem Bild von Männlichkeit gross geworden, das keine Unsicherheit kennt. Kontrolle, Leistung, Klarheit – das waren die Tugenden. Doch genau diese Klarheit fehlt, wenn es um das eigene Ende in der Firma geht. Die Nachfolgeregelung wird dadurch zu einem strukturellen und emotionalen Knoten: Niemand kann es so gut wie ich. Ich weiss nicht, ob mein Sohn/meine Tochter bereit ist. Wer übernimmt die Beziehungen zu Kunden, Banken, Lieferanten? Was, wenn sie alles verändern?
Im Untergrund läuft jedoch ein anderer Film: Was mache ich, wenn ich morgens nicht mehr als Erster auf dem Platz bin? Was ist mein Wert, wenn mein Titel weg ist? Wer bin ich ohne mein Unternehmen?
Das Lebenswerk ist keine Bilanzposition
Oft wird versucht, das Problem «professionell» zu lösen: Berater werden beigezogen, Übergabemodelle diskutiert, Steuerstrategien optimiert. Das ist alles richtig – aber es greift zu kurz. Die besten Strukturen nützen nichts, wenn der Mensch, der loslassen soll, innerlich blockiert ist. Ein Zürcher Unternehmer, 67, sagte es kürzlich in einem vertraulichen Gespräch so: «Ich weiss, dass ich gehen sollte. Ich habe es geplant. Aber ich finde immer einen Grund, warum es jetzt nicht passt.» Und die Gründe klingen vernünftig.
Nur: Es sind Ausweichmanöver. Weil der Kern nicht in der Firma liegt, sondern im Menschen.
«Ich habe keine Zeit für Therapie» – Der emotionale Untergrund
Die Nachfolge ist kein Fall für die Couch – und doch wird sie dort entschieden. Nicht selten sind narzisstische Muster im Spiel, gewachsen aus jahrelanger Selbstverantwortung, Einsamkeit an der Spitze, dem ständigen Druck, stark sein zu müssen.
Solche Muster lassen sich nicht einfach wegdiskutieren. Doch wer sie ignoriert, riskiert viel: Unternehmenskrisen, zerstrittene Familien, enttäuschte Nachfolger – und am Ende den Bruch mit dem eigenen Lebenswerk.
Der bekannte Schweizer Psychologe Allan Guggenbühl sagt: «Gerade erfolgreiche Männer haben oft nie gelernt, über ihre inneren Konflikte zu sprechen. Sie kompensieren. Mit Kontrolle. Mit Aktivität. Mit Unersetzlichkeit.»
Was hilft? – Schritte für Unternehmer, die bleiben wollen, obwohl sie gehen sollten
Realitätscheck zulassen: Fragen Sie sich nicht nur, wer übernehmen soll – fragen Sie sich auch ehrlich, was Sie zurückhält. Und warum.
Das neue Ich skizzieren: Sie waren Unternehmer. Was könnten Sie noch sein? Mentor? Stiftungsgründer? Reisender? Pilot? Wer keinen neuen Plan hat, klammert sich ans Alte.
Den Übergang moderieren lassen: Ein neutraler Coach oder Berater kann helfen, die emotionalen Aspekte anzusprechen – ohne dass gleich alles «psychologisiert» wird.
Das Gespräch mit der Familie suchen: Nicht über Rollen, sondern über Erwartungen, Wünsche, Ängste. Eine gute Nachfolge ist ein kollektiver Akt.
Feiern Sie Ihr Werk: Rückblick ist kein Rückschritt. Wer nicht ehrt, was war, kann nicht weitergehen.
Sie bleiben ein Macher – nur in neuer Rolle
Vielleicht geht es bei der Nachfolge nicht nur um die Firma. Sondern um Sie. Ihre zweite Lebenshälfte. Ihren Platz im grösseren Ganzen.
Fragen, die helfen können:
Was wäre, wenn mein Lebenswerk nicht endet, sondern sich wandelt?
Wer bin ich ausser Unternehmer?
Wem könnte ich das weitergeben, was ich gelernt habe – ohne es kontrollieren zu müssen?
Was heisst es für mich, wirklich frei zu sein?
Der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt schrieb: «Was alle angeht, können nur alle lösen.» Vielleicht ist jetzt der Moment, sich selbst mit einzubeziehen.
In das, was alle betrifft: die Zukunft.